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Knüppelnde Polizei in Erklärungsnot

Vorgehen von Beamten bei Blockupy-Protesten hat ein Nachspiel *

Nach der Demonstration gegen die Krisenpolitik der Europäischen Union am vergangenen Samstag äußern nun auch Polizisten Kritik am Einsatz.

Der Beirat der IG Metall hat die »überzogene Härte und Aggression« der Polizei gegen die Blockupy-Proteste am vergangenen Wochenende kritisiert. In einer Resolution verlangte das Gremium von der politischen und polizeilichen Führung »die lückenlose Aufklärung der Planungen und Entscheidungen«, die zu der viel kritisierten Polizeistrategie geführt haben. Am Samstag waren Hunderte Menschen stundenlang eingekesselt worden, die Polizei ging mit großer Härte gegen friedliche Demonstranten vor und verletzte zahlreiche Menschen. »So wird das demokratisch garantierte Grundrecht auf Demonstrations- und Meinungsfreiheit eingeschränkt und zugleich die einzelnen Polizistinnen und Polizisten in falschen und unnützen Konfrontationen aufgerieben«, kritisierte der IG-Metall-Beirat.

Unmut über den Polizeieinsatz gibt es auch bei der Frankfurter Polizei. Wie die »Frankfurter Rundschau« berichtet, äußerten Beamte scharfe Kritik an Polizisten aus anderen Bundesländern. Diese hätten maßlos überzogen, »und wir dürfen das dann in den nächsten Wochen ausbaden«, wird ein namentlich nicht genannter Polizist zitiert.

An den Angriffen gegen die Demonstration seien demnach kaum Polizisten aus Hessen beteiligt gewesen. Videos würden belegen, dass vor allem Beamte aus Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Sachsen an dem umstrittenen Vorgehen gegen die Demonstranten beteiligt gewesen seien, bei denen Hunderte eingekesselt und viele Menschen durch Schlagstock und Pfefferspray verletzt wurden. Die Version bestätigen auch Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, die als Parlamentarische Beobachter an der Demonstration teilnahmen. »Es waren vor allem Polizeibeamt/innen aus NRW, die für die Durchsetzung des rechtswidrigen Kessels auf der gerichtlich genehmigten Demonstrationsroute zuständig waren«, heißt es in einer Erklärung der Abgeordneten Niema Movassat, Andrej Hunko und Matthias W. Birkwald. Geplant habe den Kessel allerdings die hessische Einsatzleitung. Die Zeitung berichtet außerdem von einem Offenen Brief eines Arztes an den Frankfurter Polizeipräsidenten Achim Thiel. Der Arzt schildert darin, wie ihn ein Polizist vor einem bevorstehenden Einsatz gewarnt habe. Der Beamte habe erklärt, »es wäre besser, wenn wir uns mit den Kindern entfernen, hier würde gleich etwas passieren«. Schon am Samstag war den politisch Verantwortlichen des Polizeieinsatzes vorgeworfen worden, die Einkesselung der Demonstration von langer Hand geplant zu haben.

Derweil haben Teilnehmer der Blockupy-Demo eine gemeinsame Stellungnahme veröffentlicht: Man widerspreche »den Klischees, wonach die Polizei durch einige 'Chaoten‘ und ,Randalierer‘ gezwungen gewesen sei, Maßnahmen zur Herstellung von öffentlicher Ordnung, Gesetz und Sicherheit zu ergreifen«. Zu den Unterzeichnern gehören Wissenschaftler und Gewerkschafter.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 6. Juni 2013


Polizei beschuldigt Polizei

Von Johanna Treblin **

Jetzt wollen es auch die Polizisten nicht gewesen sein: Nach der Demonstration des Blockupy-Bündnisses gegen die etablierte Krisenpolitik am Samstag in Frankfurt am Main meldeten sich vereinzelt Beamte aus Hessen zu Wort, die die polizeiliche Gewalt gegen Demonstranten ablehnten. Verantwortlich für den Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray in und am Kessel sollen vor allem Kollegen aus Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Sachsen gewesen sein.

Nun kann man Mitleid haben mit den hessischen Beamten, die den Ärger über den Einsatz auszubaden haben, wie sie selbst klagen. Für hunderte verletzte Demonstranten ist es aber irrelevant, ob die Polizisten, die sie zum Teil mehr als zehn Stunden im Kessel festhielten, ein silbernes Ross, einen grünen Rautenkranz oder einen rot-weißen Löwen im Wappen auf ihren Uniformen trugen. Dass Einsatzleiter Harald Schneider nun sagt, die Entscheidung, die Spitze des Zuges zu separieren, sei erst »nach langen Verhandlungen« gefallen, erscheint doch eher als Hohn. Lange verhandelt wurde vor allem, nachdem der Zug gestoppt wurde. Die stundenlang eingekesselten Demo-Teilnehmer boten unter anderem an, alle von der Polizei beanstandeten Gegenstände zur Vermummung und »passiven Bewaffnung« wie Regenschirme zurückzulassen. Doch die Einsatzleitung lehnte alle Angebote ab. Versammlungsfreiheit adé.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 6. Juni 2013 (Kommentar)


»Einfach mal die Klappe halten!«

Pressefreiheit bei Blockupy-Demo mißachtet. Journalisten-Gewerkschaft ruft dazu auf, Belege zu sammeln und zu dokumentieren. Ein Gespräch mit Martin Keßler ***

Martin Keßler ist freier Dokumentar­filmer und Fernsehjournalist in Frankfurt am Main.

Als politischer Filmemacher haben Sie schon über viele Demonstrationen berichtet. Am Samstag waren Sie auch bei der Blockupy-Demo in Frankfurt am Main dabei – was war Ihr Eindruck?

Ich stand unmittelbar neben dem Block, den die Polizei direkt unter der Hinterfront des Frankfurter Schauspielhauses eingekesselt hatte, später wurde brutal in die Menge hineingeknüppelt, sie wurde mit Pfefferspray eingenebelt. Und von oben, aus den Fenstern des Theaters, ließen Schauspieler über Stunden in Eimern Wasserflaschen für die dort festgehaltenen Leute herunter!

Ich habe viele Erfahrungen als politischer Filmemacher: Aber einen so harten Polizeieinsatz gegen Demonstranten aus relativ nichtigem Anlaß habe ich noch nie erlebt; weder bei den G-8-Protesten in Heiligendamm 2007, noch bei den Studentenprotesten 2006 in Hessen – bei letzteren ging der zivile Ungehorsam ja so weit, daß sogar Autobahnen blockiert wurden.

Auch Journalisten wurden massiv in ihrer Arbeit behindert. Haben Sie das auch erlebt?

Wir mußten darum kämpfen, überhaupt in eine Position zu kommen, aus der wir das Geschehen beobachten oder Bilder machen konnten. Viele Kollegen – u. a. vom Hessischen Rundfunk (HR), vom ZDF, von diversen Tageszeitungen – haben mir berichtet, daß sie trotz Vorzeigens ihres Presseausweises mehrfach von Polizisten an der Arbeit gehindert oder gar nicht erst durchgelassen wurden. Einem Kollegen wurde das so begründet: Die Presse würde sonst unangenehme Bilder veröffentlichen, das müsse unterbunden werden.

Als ich einen Einsatzleiter zu sprechen verlangte, herrschte mich eine Polizistin an: »Einfach mal die Klappe halten!«. Kolleginnen und Kollegen haben mir zudem berichtet, daß die Polizei sogar den Personalausweis verlangte, wenn sich jemand beschwerte. Anschließend wurden die Personalien aufgenommen – von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bis zu junge Welt.

Das, was in Frankfurt passierte, war also eine massive Verletzung der Pressefreiheit?

Dieses Grundrecht muß gewahrt bleiben, die Presse muß ihre Wächterfunktion wahrnehmen können. Sie ist neben Legislative, Exekutive und Judikative immerhin die »vierte Gewalt« im Staat. Eine unabhängige und freie Presse muß darüber berichten können, wenn sich die Polizei z.B. über Gerichtsurteile hinwegsetzt, wie dies am Samstag in Frankfurt der Fall war. Der hessische Verwaltungsgerichtshof hatte die Demo-Route zur Europäischen Zentralbank (EZB) ausdrücklich genehmigt – was die Polizei aber nicht weiter interessierte. Die Verantwortung dafür tragen Ministerpräsident Volker Bouffier, Innenminister Boris Rhein (beide CDU) sowie Ordnungsdezernent Markus Frank und Polizeipräsident Achim Thiel. Letzterer ist bekannt dafür, die »harte Frankfurter Linie« eingeführt zu haben. Die Opposition in Hessen – also SPD, Grüne und Die Linke – fordert den Rücktritt des Innenministers. Diese Konsequenz ist im Interesse der Pressefreiheit nötig.

Mir selbst haben Polizisten am Freitag bei der Blockade der EZB Pfefferspray auf den Hinterkopf gesprüht, nachdem ich Presseausweis und Personalausweis gezeigt hatte, um durch die polizeiliche Absperrung zu kommen. Haben Sie von Verletzungen anderer Journalisten gehört? Ein Kollege berichtete, er sei heftigst zurückgestoßen worden, als er eine Polizeikette passieren wollte. Und ich weiß von einem Journalisten, der nach einem Pfefferspray-Einsatz kollabiert ist.

Welche Konsequenzen wären jetzt nötig?

Es die Aufgabe der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-­Union (dju) in ver.di, alle Verstöße und Rechtswidrigkeiten, die Pressevertreter im Zusammenhang mit der Blockupy-Demonstration erlebt haben, zu sammeln und zu dokumentieren – und das geschieht jetzt. Betroffene Kolleginnen und Kollegen können sich bei der Bundesgeschäftsstelle der dju in Berlin melden. Ich habe auch versucht, den zuständigen Referenten des Frankfurter Oberbürgermeisters Peter Feldmann (SPD) darauf anzusprechen – man hat mir zugesagt, er werde zurückzurufen.

Welchen Eindruck hatten Sie von der Medienberichterstattung zu Blockupy?

Die Tageszeitungen haben vielfach differenziert berichtet, das Fernsehen hingegen brachte oft nur Sekundenbeiträge mit einseitigen Polizeiinformationen. Darin war zum Beispiel oft von einem »schwarzen Block« die Rede – den gab es aber gar nicht. Der HR brachte statt eines ts über den skandalösen Polizeieinsatz am Montag eine Sondersendung zum Besuch des niederländischen Königspaares beim Ministerpräsidenten. Das nenne ich Verblödung und Desinformation. Die ARD wurde offenbar von ihrem Regionalsender HR sehr schlecht beliefert.

Interview: Gitta Düperthal

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 6. Juni 2013


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