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Blockade der US-Airbase während des Irakkrieges war keine "Nötigung"

Oberlandesgericht Frankfurt bestätigt Freisprüche für Sitzblockierer

Erst das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts im Fall Pfaff (siehe "Rechtlich unverbindlich ist ein Befehl ..."), und dann der Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt in Sachen Blockade von US-Militäreinrichtungen vor bzw. während des Irakkriegs: Es gibt Grund zufrieden zu sein mit der Rechtsprechung, wenngleich im letzten Fall ein Schönheitsfehler aus Sicht der Demonstranten nicht beseitigt wurde: Das OLG Frankfurt lehnte es ab, über die Völkerrechtswidrigkeit des Irakkrieges zu entscheiden (was das Bundesverwaltungsgericht immerhin getan hatte).
Im Folgenden dokumentieren wir zu dem Urteil des OLG Frankfurt Artikel

  • aus der Internetzeitung ngo-online (www.ngo-online.de),
  • und aus der "jungen Welt" sowie
  • eine Pressemitteilung des Komitees für Grundrechte und Demokratie und der Bonner Friedenskooperative.


Freispruch

Sieg für Airbase-Blockierer beim Oberlandesgericht Frankfurt/Main

Das OLG Frankfurt hat am Freitag zwei Freisprüche des Landgerichts bestätigt, wie die Friedensorganisation Pax Christi mitteilt. Vier Mitglieder der Friedensbewegung, die aus Protest gegen den Irak-Krieg im März 2003 die US-Airbase Frankfurt gewaltfrei blockiert hatten, sind damit endgültig vom Vorwurf der Nötigung freigesprochen. Die Vorsitzende Richterin de Boer-Engelhard begründete dies damit, dass die Kriterien des Nötigungsparagraphen (§ 240 Strafgesetzbuch) durch die Aktion nicht erfüllt würden. Zweifelhaft sei bereits, ob die Aktion als "Gewalt" im Sinne des § 240 gewertet werden könne, jedenfalls liege keine Verwerflichkeit vor, was Voraussetzung für eine Verurteilung wäre.

Das Gericht folgte damit einem Antrag der Staatsanwaltschaft beim OLG. Während die Angeklagten in erster Instanz wegen Nötigung verurteilt worden waren, hatte sie das Landgericht freigesprochen. Gegen diese Freisprüche war die Staatsanwaltschaft in Revision gegangen. Die Staatsanwaltschaft beim OLG widersprach jedoch der Auffassung der eigenen Kollegen beim LG und beantragte, die Revision als unbegründet zu verwerfen.

Allerdings waren die Sitzblockierer wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz zu einer Geldbuße verurteilt worden. Hiergegen hatte ein Betroffener ebenfalls Revision eingelegt. Die inhaltliche Debatte über diese Revision verweigerte das OLG jedoch, indem es diese Revision abtrennte und sie sieben Tage vor der heutigen Hauptverhandlung ohne mündliche Verhandlung verwarf.

Die Kampagne "resist the war", die die Airbase-Blockaden gegen den Irak-Krieg initiiert hatte, bewertet das endgültige Scheitern des Nötigungsvorwurfs als großen politischen Erfolg für die Friedensbewegung. Rund 50 Angeklagte hätten sich über zwei Jahre lang den Prozessen gestellt und sich nicht beugen lassen. Etwa 30 noch anhängige Prozesse in den unteren Instanzen müssen nun zu Gunsten der Angeklagten eingestellt werden.

Allerdings bedeutet die Weigerung des Oberlandesgerichts, über die Revision gegen die Verurteilung wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsrecht zu verhandeln, ein politisches und rechtliches Ausweichen. Bei der Geltendmachung der Rechtfertigungsgründe für die Aktionen Zivilen Ungehorsams wäre die Völkerrechtswidrigkeit des Irak-Krieges und die grundgesetzwidrige Unterstützung dieses Krieges durch die Bundesregierung zur Verhandlung gekommen. Vor dieser Debatte scheuten die Gerichte bis heute zurück und schützen damit das rechtswidrige Handeln der Bundesregierung.

Quelle: Internetzeitung ngo-online, 9. September 2005: www.ngo-online.de


Sitzblockaden sind keine Nötigung

Von Tim Neumann

Freispruch für Aktivisten der Friedensbewegung, die vor der Rhein-Main-Airbase an Aktionen der Kampagne »resist the war« gegen den Irak-Krieg teilgenommen hatten

Als einen »Erfolg für alle, die an gewaltfreien Sitzblockaden gegen den Irak-Krieg teilgenommen haben«, werten das Komitee für Grundrechte und Demokratie und das Netzwerk Friedenskooperative das jüngste Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt am Main. Das OLG sprach am Freitag vier Aktivisten der Friedensbewegung vom Vorwurf der Nötigung frei.

Das Urteil ist der vorläufige Abschluß einer Prozeßserie gegen Personen, die vor der Rhein-Main-Airbase, dem vom US-Militär genutzten Teil des Frankfurter Flughafen, während des völkerrechtswidrigen Irak-Krieges im März 2003 teilgenommen hatten. Nach mehreren derartigen Aktionen vor den Toren der bedeutendsten Drehscheibe in der BRD für militärischen Nachschub der US-Armee im Vorfeld und während des Irak-Kriegs, waren Dutzende Aktivisten wegen Nötigung angeklagt worden.

Nach Ansicht des OLG waren die Kriterien des Nötigungsparagraphen aber nicht erfüllt. Es liege auch keine Verwerflichkeit vor, was Voraussetzung für eine Verurteilung gewesen wäre. Während die Angeklagten in der ersten Instanz noch wegen Nötigung verurteilt worden waren, hatte sie das Frankfurter Landgericht (LG) freigesprochen.

Gegen diese Freisprüche war die Staatsanwaltschaft in Revision gegangen. Ein Wermutstropfen bleibt: Friedensaktivisten, die sich an den Blockadeaktionen beteiligt hatten, wurden in der Vergangenheit wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz zu einer Geldbuße verurteilt. Dagegen hatte ein Betroffener ebenfalls Widerspruch eingelegt. Doch die inhaltliche Debatte über diese Revision verweigerte das OLG, indem es das Verfahren abtrennte und sie sieben Tage vor der gestrigen Hauptverhandlung ohne mündliche Verhandlung verwarf.

Die von zahlreichen Organisationen und Gruppen der Friedensbewegung getragene Kampagne »resist the war«, die die Airbase-Blockaden gegen den Irak-Krieg mit initiiert hatte, bewertet das endgültige Scheitern des Nötigungsvorwurfs als großen politischen Erfolg für die Friedensbewegung. Für Martin Singe ist die Verweigerung einer Revision in Sachen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz jedoch ein großes Ärgernis. Schließlich wäre es hier möglich gewesen, so der Prozeßbeobachter, durch die Geltendmachung der Rechtfertigungsgründe für die Teilnahme an Aktionen zivilen Ungehorsams »die Völkerrechtswidrigkeit des Irak-Krieges und die grundgesetzwidrige Unterstützung dieses Krieges durch die Bundesregierung« zu thematisieren. Sein Fazit: »Vor dieser Debatte scheuen die Gerichte bis heute zurück und schützen damit das rechtswidrige Handeln der Bundesregierung«.

Aus: junge Welt, 10. September 2005


Komitee für Grundrechte und Demokratie
Netzwerk Friedenskooperative

Frankfurt – Köln - Bonn, 9. September 2005

PRESSEMITTEILUNG

Oberlandesgericht Frankfurt: Airbase-Blockade war keine Straftat

Das OLG Frankfurt hat heute zwei Freisprüche des Landgerichts bestätigt. Vier Mitglieder der Friedensbewegung, die aus Protest gegen den Irak-Krieg im März 2003 die US-Airbase Frankfurt gewaltfrei blockiert hatten, sind damit endgültig vom Vorwurf der Nötigung freigesprochen. Die Vorsitzende Richterin de Boer- Engelhard begründete dies damit, dass die Kriterien des Nötigungsparagraphen (§ 240 Strafgesetzbuch) durch die Aktion nicht erfüllt würden. Zweifelhaft sei bereits, ob die Aktion als „Gewalt" im Sinne des § 240 gewertet werden könne, jedenfalls liege keine Verwerflichkeit vor, was Voraussetzung für eine Verurteilung wäre.

Das Gericht folgte damit einem Antrag der Staatsanwaltschaft beim OLG. Während die Angeklagten in erster Instanz wegen Nötigung verurteilt worden waren, hatte sie das Landgericht freigesprochen. Gegen diese Freisprüche war die Staatsanwaltschaft in Revision gegangen. Die Staatsanwaltschaft beim OLG widersprach jedoch der Auffassung der eigenen Kollegen beim LG und beantragte, die Revision als unbegründet zu verwerfen.

Allerdings waren die Sitzblockierer wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz zu einer Geldbuße verurteilt worden. Hiergegen hatte ein Betroffener ebenfalls Revision eingelegt. Die inhaltliche Debatte über diese Revision verweigerte das OLG jedoch, indem es diese Revision abtrennte und sie sieben Tage vor der heutigen Hauptverhandlung ohne mündliche Verhandlung verwarf.

Die Kampagne „resist the war", die die Airbase-Blockaden gegen den Irak- Krieg initiiert hatte, bewertet das endgültige Scheitern des Nötigungsvorwurfs als großen politischen Erfolg für die Friedensbewegung. Rund 50 Angeklagte hätten sich über zwei Jahre lang den Prozessen gestellt und sich nicht beugen lassen. Etwa 30 noch anhängige Prozesse in den unteren Instanzen müssen nun zu Gunsten der Angeklagten eingestellt werden. Allerdings bedeutet die Weigerung des Oberlandesgerichts, über die Revision gegen die Verurteilung wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsrecht zu verhandeln, ein politisches und rechtliches Ausweichen. Bei der Geltendmachung der Rechtfertigungsgründe für die Aktionen Zivilen Ungehorsams wäre die Völkerrechtswidrigkeit des Irak-Krieges und die grundgesetzwidrige Unterstützung dieses Krieges durch die Bundesregierung zur Verhandlung gekommen. Vor dieser Debatte scheuten die Gerichte bis heute zurück und schützen damit das rechtswidrige Handeln der Bundesregierung.

Martin Singe, Komitee für Grundrechte und Demokratie
Mani Stenner, Netzwerk Friedenskooperative


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