Mehr Playmobil für Kabul
Alles für den Frieden, die Freiheit und die Frauen: Wie die Grünen-Politikerin Marieluise Beck auf die Entsendung weiterer Soldaten nach Afghanistan einstimmt
Von Rüdiger Göbel *
Die Soldaten der Bundeswehr und der NATO sind in Afghanistan, um den
Frieden in der Welt und die Sicherheit Deutschlands zu garantieren. Die
Standardformel zur Rechtfertigung des Besatzungsregimes am Hindukusch
haben nicht nur die Bundestagsabgeordneten verinnerlicht, die heute für
die Entsendung von noch mehr Soldaten stimmen werden. Die schlichte
Progaganda wird hierzulande schon Fünftklässern eingetrichtert. »Wenn
wir zusammen mit anderen in Afghanistan Terroristen bekämpfen und in
Afrika Bürgerkriege verhindern, geschieht das, damit wir in Deutschland
in Frieden leben können«, heißt es etwa im Unterrichtsmaterial
»Demokratie heute« des Schroedel-Schulbuchverlags für die
Jahrgangsstufen 5 und 6 in Brandenburg und Berlin. Ein Jugendoffizier
der Bundeswehr erklärt im Kapitel »Wege zum Frieden« frei nach dem
früheren Wehrminister Peter Struck (SPD) weiter: »Verteidigung bedeutet
heute nicht mehr, nur an der Landesgrenze auf den Angriff zu warten.
Heute ist alles weltweit verknüpft.« Und deswegen sind eben
Bundeswehr-Truppen »auf dem Balkan im Einsatz, ebenso im Nahen Osten, in
Afghanistan und im Kongo«. Das Wörtchen »Krieg« existiert im Rahmen der
»Friedenssicherung im Bündnis« nicht.
Auch Marieluise Beck verbindet »Krieg« nicht mit Afghanistan. Nach ihrem
Frontbesuch vom 15. bis 21. Februar hat die Grünen-Politikerin passend
zur Bundestagsabstimmung einen umfassenden Reisebericht verfaßt.
Luftangriffe, Tote, Verbrannte, Verstümmelte und das besagte Unwort -
kommen im Hindukusch-Report der Bundestagsabgeordneten nicht vor. Statt
dessen massive Kritik an der hiesigen Friedensbewegung und der Partei
Die Linke, die den Rückzug der Besatzer fordern. Bei einem Sofortabzug
der NATO-Truppen sei mit einem »noch größeren Blutvergießen als 1992 bei
der Machtübernahme durch die Mudschaheddin zu rechnen«, gibt sie
Gespräche mit Parlamentariern in der deutschen Botschaft in Kabul
wieder. Und weiter: »Ohne Sicherheit könne der zivile Aufbau nicht
stattfinden. Menschenrechte und damit vor allem die Frauenrechte wären
dann in Gefahr.« Daß die Mudschaheddin seinerzeit von NATO-Staaten
aufgerüstet und als Freiheitskämpfer wider die Rote Armee gefeiert
wurden, verschweigt die Grünen-Frau geflissentlich. Ebenso, daß die
Besatzer heute mit lokalen Warlords und Kriegsverbrechern kollaborieren,
um überhaupt Bestand in Afghanistan zu haben.
Die deutschen Soldaten zeigten sich sehr »angefaßt« über die »verquere
Wahrnehmung ihres Einsatzes in Deutschland, barmt Beck nach dem
Truppenbesuch. Sie leisteten ihre Arbeit, »getragen von dem Willen, dem
afghanischen Volk eine Zukunft geben zu wollen«. Und schließlich: Die
Arbeit von Nichtregierungsorganisationen in der Region sei »ohne Schutz
des Militärs fraglos unmöglich«, gibt Beck eine »amerikanische
Krankenschwester mit iranischer Abstammung und Sprachkenntnissen in
Farsi« wieder, die »lokale Kräfte« ausbildet. Auch andere Frauen, so die
Direktorin des Senders »Radio Voice of Afghan Women«, hätten
»nachdrücklich« darum gebeten, »nicht allein gelassen zu werden«. »Frau
Stilz vom DAAD«, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst, schließlich
monierte laut Beck, »daß in Deutschland immer geschrieben wird, daß
alles schlimmer würde, dabei geht es überall voran. Aber den Fortschritt
will scheinbar niemand sehen.«
Doch so blühend, wie die Grünen-Abgeordnete suggeriert, sind die
Landschaften am Hindukusch lange nicht. Ihren eigenen Ausführungen zur
Polizeiausbildung in Afghanistan, auf die die schwarz-gelbe
Bundesregierung mit strammer Unterstützung von SPD und Bündnis 90/Die
Grünen fortan verstärkt setzen wollen, zeigen dies. Beck führt aus: »Die
afghanischen Familien schicken vor allem die in die Schulung, die nicht
allzuviel zum Lebensunterhalt beitragen. In den Basistrainings für den
einfachen Polizeidienst gibt es 60 bis 90 Prozent Analphabeten. Mit
Waffen sind sie in der Regel nicht vertraut, oft auch wenig trainiert.
Nach körperlichen Übungen gibt es Schlangen vor dem Sanitätshaus, weil
die Männer keinen Muskelkater kennen.« Trainiert werde auch
systematisches Vorgehen als Gruppe bei der Überwindung von Hindernissen.
Doch: »Die Ausbildung unter diesen Bedingungen ist schwierig. Es wird
viel mit Playmobilfiguren gearbeitet ...«
Beck macht auch klar, wer mehr Polizeiausbilder für Afghanistan fordert,
muß auch die Truppe aufstocken: »Ohne militärische Begleitung ist die
Polizeiausbildung nicht möglich. Ein Polizei-Mentor-Team besteht aus
vier Polizisten und vier Feldjägern. Hinzu kommen in der Regel sechs
Infanteristen zum Schutz der Polizisten sowie eine Sanitätskomponente.
Jede Erhöhung auf seiten der Polizei zieht somit automatisch einen
entsprechenden Bedarf militärischer Kräfte, Fahrzeugen und Ausstattung
nach sich.« Die nächste Aufstockung des deutschen Kontingents von dann
5350 Soldaten ist damit programmiert. Für den Frieden.
* Aus: junge Welt, 26. Februar 2010
SPD bleibt konsequent - im Krieg
Heute beschließen Union, SPD und FDP im Bundestag die Verlängerung des Afghanistan-Mandats und die Aufstockung des Bundeswehr-Kontingents
Von Wolfgang Hübner **
Fast 350 afghanische Kinder wurden laut UNO-Statistik 2009 bei kriegerischen Gewalttaten getötet. 153 von ihnen wurden Opfer von Luftangriffen und Aktionen von Sondereinsatzkräften. Das Leben von mindestens 128 Kindern haben Aufständische und Selbstmordattentäter auf dem Gewissen.
Es sind vor allem solche Nachrichten, die viele Menschen die Frage nach dem Sinn dieses Krieges stellen lassen. Ob es ein Krieg ist, fragen sich normal Denkende sowieso nicht; das ist ein semantischer Taschenspielertrick von Politikern, die trotz Krieges eine weiße Weste behalten möchten.
»Wir wollten«, sagte der ehemalige Kanzleramts- und Außenminister Frank-Walter Steinmeier jetzt mit Bezug auf Afghanistan, »dem Land und dem Volk nach 30 Jahren Krieg und Bürgerkrieg wieder auf die Beine helfen.« Wenn er ehrlich wäre, müsste sich der Sozialdemokrat eingestehen: Krieg und Bürgerkrieg gehen unvermindert weiter, seit 2001 mit einer weiteren Kriegspartei - der NATO und mit ihr der Bundeswehr.
Diese Politik wird der Bundestag heute mit dem Bundeswehrmandat um ein weiteres Jahr verlängern. Das Kontingent wächst sogar von 4500 auf 5350 Soldaten; der Regierungsantrag spricht von eventuellen »Spielräumen für eine schrittweise Reduzierung des deutschen ISAF-Kontingents« ab 2011. Aufrüsten, um abzuziehen - als würde ein Übergewichtiger sich schnell noch ein paar zusätzliche Kilo anfressen, um dann aber wirklich abzunehmen.
Zur Verlängerung und Erweiterung des Mandats genügen die Stimmen von Union und FDP. Dennoch ist die SPD mit im Boot, bis auf wenige Abweichler. Zwar spricht Fraktionschef Steinmeier seit etwa einem Jahr vorsichtig von Abzugsperspektiven bis 2015. Die SPD will sich aber nicht dem probeweise bereits erhobenen Vorwurf der Konservativen aussetzen, sich aus dem von Rot-Grün begonnenen Krieg davonzustehlen. An vaterländische Pflichten lassen sich die Sozialdemokraten nur ungern erinnern. Die Grünen wollen sich heute im Bundestag immerhin enthalten; nur die LINKE lehnt die Kriegsverlängerung ab.
Es gibt übrigens auch Beispiele sozialdemokratischer Konsequenz. Eine Regierung ist gerade gestürzt, weil Sozialdemokraten sich einem längeren Afghanistan-Einsatz verweigerten. Aber das war weit weg - in den Niederlanden.
»Wenn Fehler gemacht werden, ist es wichtig, sie einzugestehen«, schrieb die Londoner »Times« nach dem kürzlichen NATO-Luftangriff, der 27 Zivilisten das Leben kostete. Dass der ganze Afghanistan-Krieg ein Fehler ist - darüber wird noch immer kaum geredet.
** Aus: Neues Deutschland, 26. Februar 2010
»Wir sagen Nein zu noch mehr Truppen«
Von Malalai Joya
Aus der Grußadresse von Malalai Joya auf der Demonstration gegen den
Afghanistan-Krieg am 20. Februar in Berlin. Die 31jährige Afghanin war
Ende 2003 international bekannt geworden, als sie vor der Loya Jirga,
der verfassungsgebenden Versammlung in Afghanistan, die Anwesenheit von
Warlords und Kriminellen in der Regierung kritisierte. Sie wurde aus der
Versammlung entfernt und lebt unter ständiger Bedrohung in Afghanistan.
Bei den Parlamentswahlen 2005 errang sie in der Provinz Farah ein
Abgeordnetenmandat. 2007 wurde sie wegen ihrer kritischen Haltung
gegenüber der Regierung Hamid Karsais und der NATO-geführten Besatzung
aus dem Parlament ausgeschlossen. Im vergangenen Jahr erschien im
Piper-Verlag ihr Buch »Ich erhebe meine Stimme. Eine Frau kämpft gegen
den Krieg in Afghanistan«.
Liebe Freundinnen und Freunde,
ich möchte euch meinen Dank ausdrücken und alle herzlich grüßen, die
heute hier versammelt sind, um ihre Stimme zu erheben gegen den
sogenannten »Krieg gegen Terror« in meinem leidgeplagten Afghanistan und
gegen die Kriegstreiberei eurer Regierung und die US-geführten
NATO-Truppen in meinem Land.
Die USA und ihre Alliierten haben Afghanistan besetzt im Namen des
»Krieges gegen den Terror«, aber sie terrorisieren heute selbst die
afghanische Bevölkerung. Der »Krieg gegen den Terror« ist nur eine Show,
während Afghanistan und die gesamte Region in Wirklichkeit sogar noch
mehr zum sicheren Rückzugsgebiet für Terroristen gemacht wurden und nun
neue Anstrengungen unternommen werden, um die brutalen Taliban in die
Marionetten-Regierung von Hamid Karsai einzubinden.
Die deutsche Regierung unterstützt in meinem Land ein
Marionetten-Regime, das aus lauter Feinden der afghanischen Bevölkerung
besteht und das in schlimmste Kriegsverbrechen, Drogenhandel und
Korruption verwickelt ist.
Die Lage der Menschen im »befreiten« Afghanistan ist heute schlimmer
denn je. Um die Frauenrechte ist es so schlecht bestellt wie unter der
Herrschaft der Taliban. Die Zahlen von Vergewaltigungen, Entführungen,
Säureanschlägen, häuslicher Gewalt und die Morde an Frauen wachsen
rapide. Im »Human Development Index« rangiert Afghanistan auf Platz 181
von 182 gelisteten Ländern. Laut Korruptionsindex ist Afghanistan das
zweikorrupteste Land der Welt. Afghanistan ist weltweit führender
Produzent von Opium - heute sind es 4400 Prozent mehr als 2001. Und das
alles unter den Augen der Truppen der USA und der NATO. Das sind nur ein
paar Beispiele für »Freedom and Democracy«, für Freiheit und Demokratie,
die meinem Land aufgebürdet wurden. (...)
Ich denke, die Politik der Obama-Administration in Afghanistan
unterscheidet sich nicht von der eines George W. Bush, im Gegenteil, sie
ist sogar noch gefährlicher und verheerender für mein Land, weil noch
mehr Truppen geschickt und dadurch noch mehr unschuldige Menschen
getötet werden.
Die USA und die anderen NATO-Staaten haben ihre eigenen strategischen,
ökonomischen und geopolitischen Interessen in Afghanistan. Sie wollen
das Land in ihre Militärbasis in Asien verwandeln. Dafür spielen sie mit
der Würde meines leidenden Volkes und setzen es größeren Gefahren aus.
Liebe Freunde, ich werde nicht müde zu wiederholen, daß keine Nation
eine andere Nation »befreien« kann. Deshalb fordern wir Afghanen den
Abzug aller ausländischen Truppen aus Afghanistan, weil sie das Leben
für uns noch komplizierter und leidvoller machen. Eine
Truppenaufstockung, in Afghanistan entspricht nicht dem Willen der
afghanischen Bevölkerung, und wir sagen Nein zu noch mehr Truppen!
Aus: junge Welt, 26. Februar 2010
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