Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Mehr Playmobil für Kabul

Alles für den Frieden, die Freiheit und die Frauen: Wie die Grünen-Politikerin Marieluise Beck auf die Entsendung weiterer Soldaten nach Afghanistan einstimmt

Von Rüdiger Göbel *

Die Soldaten der Bundeswehr und der NATO sind in Afghanistan, um den Frieden in der Welt und die Sicherheit Deutschlands zu garantieren. Die Standardformel zur Rechtfertigung des Besatzungsregimes am Hindukusch haben nicht nur die Bundestagsabgeordneten verinnerlicht, die heute für die Entsendung von noch mehr Soldaten stimmen werden. Die schlichte Progaganda wird hierzulande schon Fünftklässern eingetrichtert. »Wenn wir zusammen mit anderen in Afghanistan Terroristen bekämpfen und in Afrika Bürgerkriege verhindern, geschieht das, damit wir in Deutschland in Frieden leben können«, heißt es etwa im Unterrichtsmaterial »Demokratie heute« des Schroedel-Schulbuchverlags für die Jahrgangsstufen 5 und 6 in Brandenburg und Berlin. Ein Jugendoffizier der Bundeswehr erklärt im Kapitel »Wege zum Frieden« frei nach dem früheren Wehrminister Peter Struck (SPD) weiter: »Verteidigung bedeutet heute nicht mehr, nur an der Landesgrenze auf den Angriff zu warten. Heute ist alles weltweit verknüpft.« Und deswegen sind eben Bundeswehr-Truppen »auf dem Balkan im Einsatz, ebenso im Nahen Osten, in Afghanistan und im Kongo«. Das Wörtchen »Krieg« existiert im Rahmen der »Friedenssicherung im Bündnis« nicht.

Auch Marieluise Beck verbindet »Krieg« nicht mit Afghanistan. Nach ihrem Frontbesuch vom 15. bis 21. Fe­bruar hat die Grünen-Politikerin passend zur Bundestagsabstimmung einen umfassenden Reisebericht verfaßt. Luftangriffe, Tote, Verbrannte, Verstümmelte und das besagte Unwort - kommen im Hindukusch-Report der Bundestagsabgeordneten nicht vor. Statt dessen massive Kritik an der hiesigen Friedensbewegung und der Partei Die Linke, die den Rückzug der Besatzer fordern. Bei einem Sofortabzug der NATO-Truppen sei mit einem »noch größeren Blutvergießen als 1992 bei der Machtübernahme durch die Mudschaheddin zu rechnen«, gibt sie Gespräche mit Parlamentariern in der deutschen Botschaft in Kabul wieder. Und weiter: »Ohne Sicherheit könne der zivile Aufbau nicht stattfinden. Menschenrechte und damit vor allem die Frauenrechte wären dann in Gefahr.« Daß die Mudschaheddin seinerzeit von NATO-Staaten aufgerüstet und als Freiheitskämpfer wider die Rote Armee gefeiert wurden, verschweigt die Grünen-Frau geflissentlich. Ebenso, daß die Besatzer heute mit lokalen Warlords und Kriegsverbrechern kollaborieren, um überhaupt Bestand in Afghanistan zu haben.

Die deutschen Soldaten zeigten sich sehr »angefaßt« über die »verquere Wahrnehmung ihres Einsatzes in Deutschland, barmt Beck nach dem Truppenbesuch. Sie leisteten ihre Arbeit, »getragen von dem Willen, dem afghanischen Volk eine Zukunft geben zu wollen«. Und schließlich: Die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen in der Region sei »ohne Schutz des Militärs fraglos unmöglich«, gibt Beck eine »amerikanische Krankenschwester mit iranischer Abstammung und Sprachkenntnissen in Farsi« wieder, die »lokale Kräfte« ausbildet. Auch andere Frauen, so die Direktorin des Senders »Radio Voice of Afghan Women«, hätten »nachdrücklich« darum gebeten, »nicht allein gelassen zu werden«. »Frau Stilz vom DAAD«, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst, schließlich monierte laut Beck, »daß in Deutschland immer geschrieben wird, daß alles schlimmer würde, dabei geht es überall voran. Aber den Fortschritt will scheinbar niemand sehen.«

Doch so blühend, wie die Grünen-Abgeordnete suggeriert, sind die Landschaften am Hindukusch lange nicht. Ihren eigenen Ausführungen zur Polizeiausbildung in Afghanistan, auf die die schwarz-gelbe Bundesregierung mit strammer Unterstützung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen fortan verstärkt setzen wollen, zeigen dies. Beck führt aus: »Die afghanischen Familien schicken vor allem die in die Schulung, die nicht allzuviel zum Lebensunterhalt beitragen. In den Basistrainings für den einfachen Polizeidienst gibt es 60 bis 90 Prozent Analphabeten. Mit Waffen sind sie in der Regel nicht vertraut, oft auch wenig trainiert. Nach körperlichen Übungen gibt es Schlangen vor dem Sanitätshaus, weil die Männer keinen Muskelkater kennen.« Trainiert werde auch systematisches Vorgehen als Gruppe bei der Überwindung von Hindernissen. Doch: »Die Ausbildung unter diesen Bedingungen ist schwierig. Es wird viel mit Playmobilfiguren gearbeitet ...«

Beck macht auch klar, wer mehr Polizeiausbilder für Afghanistan fordert, muß auch die Truppe aufstocken: »Ohne militärische Begleitung ist die Polizeiausbildung nicht möglich. Ein Polizei-Mentor-Team besteht aus vier Polizisten und vier Feldjägern. Hinzu kommen in der Regel sechs Infanteristen zum Schutz der Polizisten sowie eine Sanitätskomponente. Jede Erhöhung auf seiten der Polizei zieht somit automatisch einen entsprechenden Bedarf militärischer Kräfte, Fahrzeugen und Ausstattung nach sich.« Die nächste Aufstockung des deutschen Kontingents von dann 5350 Soldaten ist damit programmiert. Für den Frieden.

* Aus: junge Welt, 26. Februar 2010


SPD bleibt konsequent - im Krieg

Heute beschließen Union, SPD und FDP im Bundestag die Verlängerung des Afghanistan-Mandats und die Aufstockung des Bundeswehr-Kontingents

Von Wolfgang Hübner **

Fast 350 afghanische Kinder wurden laut UNO-Statistik 2009 bei kriegerischen Gewalttaten getötet. 153 von ihnen wurden Opfer von Luftangriffen und Aktionen von Sondereinsatzkräften. Das Leben von mindestens 128 Kindern haben Aufständische und Selbstmordattentäter auf dem Gewissen.

Es sind vor allem solche Nachrichten, die viele Menschen die Frage nach dem Sinn dieses Krieges stellen lassen. Ob es ein Krieg ist, fragen sich normal Denkende sowieso nicht; das ist ein semantischer Taschenspielertrick von Politikern, die trotz Krieges eine weiße Weste behalten möchten.

»Wir wollten«, sagte der ehemalige Kanzleramts- und Außenminister Frank-Walter Steinmeier jetzt mit Bezug auf Afghanistan, »dem Land und dem Volk nach 30 Jahren Krieg und Bürgerkrieg wieder auf die Beine helfen.« Wenn er ehrlich wäre, müsste sich der Sozialdemokrat eingestehen: Krieg und Bürgerkrieg gehen unvermindert weiter, seit 2001 mit einer weiteren Kriegspartei - der NATO und mit ihr der Bundeswehr.

Diese Politik wird der Bundestag heute mit dem Bundeswehrmandat um ein weiteres Jahr verlängern. Das Kontingent wächst sogar von 4500 auf 5350 Soldaten; der Regierungsantrag spricht von eventuellen »Spielräumen für eine schrittweise Reduzierung des deutschen ISAF-Kontingents« ab 2011. Aufrüsten, um abzuziehen - als würde ein Übergewichtiger sich schnell noch ein paar zusätzliche Kilo anfressen, um dann aber wirklich abzunehmen.

Zur Verlängerung und Erweiterung des Mandats genügen die Stimmen von Union und FDP. Dennoch ist die SPD mit im Boot, bis auf wenige Abweichler. Zwar spricht Fraktionschef Steinmeier seit etwa einem Jahr vorsichtig von Abzugsperspektiven bis 2015. Die SPD will sich aber nicht dem probeweise bereits erhobenen Vorwurf der Konservativen aussetzen, sich aus dem von Rot-Grün begonnenen Krieg davonzustehlen. An vaterländische Pflichten lassen sich die Sozialdemokraten nur ungern erinnern. Die Grünen wollen sich heute im Bundestag immerhin enthalten; nur die LINKE lehnt die Kriegsverlängerung ab.

Es gibt übrigens auch Beispiele sozialdemokratischer Konsequenz. Eine Regierung ist gerade gestürzt, weil Sozialdemokraten sich einem längeren Afghanistan-Einsatz verweigerten. Aber das war weit weg - in den Niederlanden.

»Wenn Fehler gemacht werden, ist es wichtig, sie einzugestehen«, schrieb die Londoner »Times« nach dem kürzlichen NATO-Luftangriff, der 27 Zivilisten das Leben kostete. Dass der ganze Afghanistan-Krieg ein Fehler ist - darüber wird noch immer kaum geredet.

** Aus: Neues Deutschland, 26. Februar 2010


»Wir sagen Nein zu noch mehr Truppen«

Von Malalai Joya

Aus der Grußadresse von Malalai Joya auf der Demonstration gegen den Afghanistan-Krieg am 20. Februar in Berlin. Die 31jährige Afghanin war Ende 2003 international bekannt geworden, als sie vor der Loya Jirga, der verfassungsgebenden Versammlung in Afghanistan, die Anwesenheit von Warlords und Kriminellen in der Regierung kritisierte. Sie wurde aus der Versammlung entfernt und lebt unter ständiger Bedrohung in Afghanistan. Bei den Parlamentswahlen 2005 errang sie in der Provinz Farah ein Abgeordnetenmandat. 2007 wurde sie wegen ihrer kritischen Haltung gegenüber der Regierung Hamid Karsais und der NATO-geführten Besatzung aus dem Parlament ausgeschlossen. Im vergangenen Jahr erschien im Piper-Verlag ihr Buch »Ich erhebe meine Stimme. Eine Frau kämpft gegen den Krieg in Afghanistan«.

Liebe Freundinnen und Freunde,

ich möchte euch meinen Dank ausdrücken und alle herzlich grüßen, die heute hier versammelt sind, um ihre Stimme zu erheben gegen den sogenannten »Krieg gegen Terror« in meinem leidgeplagten Afghanistan und gegen die Kriegstreiberei eurer Regierung und die US-geführten NATO-Truppen in meinem Land.

Die USA und ihre Alliierten haben Afghanistan besetzt im Namen des »Krieges gegen den Terror«, aber sie terrorisieren heute selbst die afghanische Bevölkerung. Der »Krieg gegen den Terror« ist nur eine Show, während Afghanistan und die gesamte Region in Wirklichkeit sogar noch mehr zum sicheren Rückzugsgebiet für Terroristen gemacht wurden und nun neue Anstrengungen unternommen werden, um die brutalen Taliban in die Marionetten-Regierung von Hamid Karsai einzubinden.

Die deutsche Regierung unterstützt in meinem Land ein Marionetten-Regime, das aus lauter Feinden der afghanischen Bevölkerung besteht und das in schlimmste Kriegsverbrechen, Drogenhandel und Korruption verwickelt ist.

Die Lage der Menschen im »befreiten« Afghanistan ist heute schlimmer denn je. Um die Frauenrechte ist es so schlecht bestellt wie unter der Herrschaft der Taliban. Die Zahlen von Vergewaltigungen, Entführungen, Säureanschlägen, häuslicher Gewalt und die Morde an Frauen wachsen rapide. Im »Human Development Index« rangiert Afghanistan auf Platz 181 von 182 gelisteten Ländern. Laut Korrup­tionsindex ist Afghanistan das zweikorrupteste Land der Welt. Afghanistan ist weltweit führender Produzent von Opium - heute sind es 4400 Prozent mehr als 2001. Und das alles unter den Augen der Truppen der USA und der NATO. Das sind nur ein paar Beispiele für »Freedom and Democracy«, für Freiheit und Demokratie, die meinem Land aufgebürdet wurden. (...)

Ich denke, die Politik der Obama-Administration in Afghanistan unterscheidet sich nicht von der eines George W. Bush, im Gegenteil, sie ist sogar noch gefährlicher und verheerender für mein Land, weil noch mehr Truppen geschickt und dadurch noch mehr unschuldige Menschen getötet werden.

Die USA und die anderen NATO-Staaten haben ihre eigenen strategischen, ökonomischen und geopolitischen Interessen in Afghanistan. Sie wollen das Land in ihre Militärbasis in Asien verwandeln. Dafür spielen sie mit der Würde meines leidenden Volkes und setzen es größeren Gefahren aus.

Liebe Freunde, ich werde nicht müde zu wiederholen, daß keine Nation eine andere Nation »befreien« kann. Deshalb fordern wir Afghanen den Abzug aller ausländischen Truppen aus Afghanistan, weil sie das Leben für uns noch komplizierter und leidvoller machen. Eine Truppenaufstockung, in Afghanistan entspricht nicht dem Willen der afghanischen Bevölkerung, und wir sagen Nein zu noch mehr Truppen!

Aus: junge Welt, 26. Februar 2010




Zurück zum Dossier "Truppen raus aus Afghanistan!"

Zur Afghanistan-Seite

Zur Bundeswehr-Seite

Zurück zur Homepage