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"Gegen Afghanistan-Krieg sind neue Koalitionen nötig"

Friedensbewegung will enger mit den Kirchen zusammenarbeiten. Gegenkonferenz in London geplant. Ein Gespräch mit Reiner Braun

Reiner Braun ist Geschäftsführer der »International Association of Lawyers Against Nuclear Arms«.



Bundesentwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP) ruft dazu auf, die Arbeit von Hilfsorganisationen in Afghanistan mit Polizei und Bundeswehr zu verzahnen. Was setzt die Friedensbewegung dem entgegen?

Die Äußerung Niebels ist eindeutig völkerrechtswidrig. Sie ist ein unglaublicher Eingriff in die Autonomie der entwicklungspolitischen Arbeit, widerspricht der Genfer Konvention und ist entschieden zurückzuweisen. Wir setzen eine stärkere Kooperation mit den entwicklungspolitischen Gruppen dagegen und versuchen, angesichts der dramatischen Lage in Afghanistan erstmals zu gemeinsamen Aktionen zu kommen.

Wie ernst muß man die aktuellen Stellungnahmen der SPD nehmen, nicht auf den militärischen, sondern auf den zivilen Aufbau in Afghanistan setzen zu wollen? Immerhin hat ja die rot-grüne Regierung diesen Bundeswehr-Einsatz vor acht Jahren begonnen.

Die SPD hat ihre Unschuld nicht erst mit Afghanistan verloren - sondern schon 1914 zu Beginn des Ersten Weltkrieges. Seitdem ist sie niemals eine Friedenspartei gewesen. Einzig unter dem Druck ihrer Mitglieder und der vielen friedenspolitisch engagierten Menschen ist sie etwas weniger kriegerisch geworden. Ich hoffe, daß die Sozialdemokraten aus dem großkoalitionären Kriegskurs aussteigen. Sagt die SPD »Nein zum Afghanistan-Krieg«, wird es zu gemeinsamen Aktionen kommen können. Wir werden jedoch nicht vergessen, welche Rolle sie sowohl beim Krieg in Afghanistan als auch in Jugoslawien gespielt hat.

Ist der angeblich angestrebte zivile Aufbau nur ein Vorwand der SPD, alles beim alten zu belassen?

Zivil heißt: Abzug des Militärs, Entwicklungshilfe aufstocken, dezentrale entwicklungspolitische Projekte entwickeln, die Landwirtschaft stärken - aber nicht den Repressionsapparat. Wenn die SPD das unter Zivilaufbau versteht, sind wir uns einig. Versteht sie allerdings darunter, Militär und Zivil weiter miteinander zu vermauscheln, werden wir uns scharf dagegen wenden.

Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), Margot Käßmann, hat den Afghanistan-Einsatz kritisiert, Pastoren fordern den Rückzug der Bundeswehr - setzen Sie auf eine Belebung der Friedensbewegung durch die Kirche?

Die Kirchen sind mit »Pax Christi« und der »Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden« Bestandteil der Friedensbewegung. Die mutigen Worte von Frau Käßmann nehmen wir sehr ernst. Wir hoffen, daß es zur Intensivierung der Zusammenarbeit kommt. Damit angesichts der Drohung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), die Truppe um 2500 Soldaten aufzustocken, mehr Mitglieder der Kirchen mit uns auf die Straße gehen.

Die Kirche ist aber durch ihre Militärseelsorge mit der Bundeswehr verquickt ...

Ich bin froh, daß Initiativen der »Kirche von unten« dieses Thema zur Sprache bringen. Lösen kann dieses Problem nur die Kirche selbst. Wir lehnen jede Form von Militarisierung ab - dazu gehören auch Militärseelsorger sowie die Bundeswehr bei Veranstaltungen des Kirchentages.

Teilen Sie den neuerlichen Optimismus von Außenminister Guido Westerwelle, der nach seiner Drohung, die am 28. Januar in London stattfindende Afghanistan-Konferenz boykottieren zu wollen, nun befindet, sie sei »auf gutem Wege«?

Was das Großmaul Westerwelle in die Welt hinausposaunt, würde ich nicht so ernst nehmen. Klare Vorgabe der USA und der NATO ist: mehr Deutsche an die Front. Das Verhältnis der Kanzlerin zur atlantischen Partnerschaft kennen wir aus dem Irak-Krieg: Unterordnung. Von daher besteht die Gefahr, daß es letztlich - mit Zustimmung der FDP - zu einer weiteren Verschärfung in Afghanistan kommt. Deshalb werden wir in London mit einer Gegenkonferenz und einer Friedensdemonstration präsent sein. Gemeinsam mit entwicklungspolitischen Gruppierungen, der Kirche um Frau Käßmann und Teilen der Gewerkschaften wollen wir auch Aktionen gegen die geplante Aufstockung der deutschen Truppe vorbereiten. Neue Koalitionen sind nötig, um eine breitere Mobilisierung zu erreichen.

Interview: Gitta Düperthal

* Aus: junge Welt, 31. Dezember 2009


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