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Hilfsorganisationen und Friedensbewegung gegen Verlängerung von OEF-Mandat durch Bundestag

Erklärungen vor und nach der Entscheidung: medico international, IPPNW und Bundesausschuss Friedensratschlag

Im Folgenden dokumentieren wir drei Pressemeldungen aus der Friedensbewegung, die sich mit der Verlängerung des Bundeswehreinsatzes im Rahmen von Enduring Freedom befassen. Zu Wort kommen medico international und die IPPNW (zwei Erklärungen vor der Abstimmung im Bundestag) und der Bundesausschuss Friedensratschlag, der sich nach der erfolgten Entscheidung nochmals zu Wort meldete (eine Erklärung des "Friedensratschlags" vor der Abstimmung hatten wir bereits hier dokumentiert: "Friedensbewegung macht noch einmal Druck")



Friedenbewegung enttäuscht - Bundestag missachtet Bevölkerung

Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag

Kassel, 15. November - Zur Debatte und zur Abstimmung im Bundestag über die Verlängerung des "Antiterror"-Einsatzes in Afghanistan erklärt der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag in Kassel:

Zum wiederholten Mal hat der Bundestag bei Abstimmungen über Auslandseinsätze der Bundeswehr den Mehrheitswillen der Bevölkerung sträflich missachtet. Diese Brüskierung vieler Menschen wiegt umso schwerer, als der heute beschlossene Bundeswehreinsatz in besonderer Weise gegen alle politische Vernunft und gegen das geltende Völkerrecht verstößt.

Der Bundeswehreinsatz unter Führung der USA, der seit 2001 unter dem Namen "Operation Enduring Freedom" firmiert, ist ein Aggressionsakt, der weder vom deutschen Grundgesetz noch vom Völkerrecht gedeckt ist. Es existiert keine Resolution des UN-Sicherheitsrats, die den internationalen Terrorismus zum Gegenstand von Militärinterventionen und Kriegen mmacht. Im Gegenteil: Alle zwölf in den letzten 40 Jahren verabschiedeten einschlägigen "Terrorismus"-Resolutionen fordern die Staatengemeinschaft zu verstärkten Anstrengungen bei der zivilen und rechtsstaatlichen Bekämpfung dieses Verbrechens auf (z.B. entsprechende Strafverfolgung, Verhinderung von Geldwäsche u.ä., um den Terroristen die Finanzmittel zu sperren). Von Krieg ist nie die Rede gewesen.

Auch die Bundesregierung ist gehalten, den Kampf gegen den Terror im Inneren mit den Mitteln des Rechtsstaates zu führen (Polizei, Justiz). Ein Einsatz der Bundeswehr im Inneren wird zwar von einigen konservativen Kreisen gewünscht, entspricht aber nicht der Verfassungsordnung unseres Landes. Gleichzeitig sieht die Regierungskoalition und die FDP offenbar kein Problem darin, den Terrorismus im Ausland - hier in Afghanistan - mit militärischen Mitteln bekämpfen zu wollen.

Das Abstimmungsergebnis über den Afghanistan-Einsatz ist für die Friedensbewegung enttäuschend. Die große Mehrheit, die heute für die Verlängerung des Krieges gestimmt hat, darf sich nicht wundern, wenn die Politikerverdrossenheit, der Unmut über die abgehobenen Entscheidungen der politischen Klasse, in der Bevölkerung weiter wachsen.

Mit Befriedigung wurde dagegen zur Kenntnis genommen, dass diesmal nicht nur die Linke, sondern auch die Fraktion der GRÜNEN vollständig gegen den OEF-Einsatz gestimmt haben.

Der Bundesausschuss Friedensratschlag wird seinen Kampf gegen den Afghanistan-Einsatz verstärken und weiterhin für den Abzug der Bundeswehr und der anderen fremden Truppen aus diesem Land werben.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag
Peter Strutynski (Sprecher)


Militärische Strategie in Afghanistan ist gescheitert

Hilfsorganisation gegen Verlängerung von OEF-Mandat durch Bundestag

Frankfurt/Main (ots) - Anlässlich der Abstimmung über die Verlängerung des Mandates der "Operation Enduring Freedom" (OEF) im Bundestag fordert die in Afghanistan tätige Hilfsorganisation medico international das Ende des US-geführten Kampfeinsatzes. Dieser sei politisch kontraproduktiv und hätte die militärische Eskalation des Konflikts noch verschärft. Von der afghanischen Bevölkerung wird der OEF-Einsatz aufgrund der hohen zivilen Opferzahlen abgelehnt.

Aus Sicht des medico-Geschäftsführer Thomas Gebauer ist die militärische Strategie gescheitert: Die Debatten über die Militäreinsätze hätten den Blick für die erschütternde Armut im Lande verstellt. "Die Menschen in Afghanistan müssen spüren, dass am Hindukusch ihre und nicht die Interessen Deutschlands und der USA verteidigt werden." Mehr als die Hälfte der Afghanen hat keine Arbeit. Erforderlich seien deshalb die rasche Wiederankurbelung der afghanischen Wirtschaft über Investitionen, die Subventionierung des Weizenanbaus, der Schutz afghanischer Betriebe vor billigen Importen sowie Begünstigungen beim Export.

Die bisherigen Wiederaufbaubemühungen bewertet Gebauer als unzureichend, da ein kohärentes Gesamtkonzept fehle: "Nicht das Vertrauen in soziale Perspektiven beherrscht das Land, sondern ein immer undurchsichtiger werdendes Geflecht aus Korruption, Vetternwirtschaft und Rechtsfreiheit, mit dem es die neue, von außen eingesetzte Führungsclique des Landes verstanden hat, sich den Löwenanteil der ausländischen Gelder selbst unter den Nagel zu reißen."

Den Wiederaufbau-Einsatz von sog. "Provincial Reconstruction Teams" (PRT) durch die Bundeswehr lehnt Gebauer ab, da die Vermischung von ziviler Hilfe und militärischen Einsätzen die Mitarbeiter der Hilfsorganisationen gefährde. "Durch die zivil-militärische Zusammenarbeit verschmelzen Helfer und ausländische Soldaten in der Wahrnehmung der Bevölkerung. Die Folge sind tödliche Angriffe mit Opfern vor allem unter den lokalen Mitarbeitern der Hilfsorganisationen." Allein auf die Minenräumer der afghanischen Partnerorganisationen von medico international gab es seit Juni sieben Anschläge und Entführungen mit fünf Toten. Die Minenräumung in fünf südlichen Provinzen musste eingestellt werden. Dies erhöht die Gefahr von weiteren Minenunfällen und verhindert damit die Rückkehr zum Alltagsleben.

medico international unterstützt unter anderem mit Mitteln des Auswärtigen Amtes seit 2002 die Arbeit zweier afghanischer Minenräumorganisationen.


Ärzteorganisation fordert Ende des OEF-Mandats

IPPNW-Pressemitteilung vom 13. November 2007

Erklärung der deutschen IPPNW

Anlässlich der bevorstehenden Abstimmung des deutschen Bundestags über die Verlängerung des Mandats für Bundeswehr-Truppen zur Teilnahme an der »Operation Enduring Freedom« (OEF) erklärt die deutsche Sektion der Ärzteorganisation IPPNW: »Die von der US-Regierung und US-Army initiierte und geleitete OEF ist wichtiger Teil des sogenannten »Kriegs gegen den Terror«, der ohne räumliche und zeitliche Beschränkung in einer ganzen Reihe von Ländern geführt wird, insbesondere in Irak und Afghanistan. Es ist seit Beginn dieses Feldzugs 2001 offensichtlich geworden, dass dieser Krieg auch in Afghanistan in keiner Weise Terror vermindern konnte, sondern im Gegenteil für zunehmende Opferzahlen in der Zivilbevölkerung verantwortlich ist, wie dies auch vom afghanischen Staatschef Karsai wiederholt öffentlich kritisiert wurde. Allein 2007 sind Hunderte von unbewaffneten afghanischen Menschen Luftangriffen der NATO zum Opfer gefallen, während gleichzeitig auch die Angriffe der Aufständischen weiter zunahmen.

Wir fordern deshalb ein Ende jeder Beteiligung von deutschen Militärverbänden an diesen völkerrechtswidrigen Kampfeinsätzen und einen Rückzug der Bundeswehr aus allen OEF-Strukturen und -Kooperationsverhältnissen. NATO-Bündnistreue darf kein Argument für die Teilnahme an Interventionskriegen weitab vom Bündnisgebiet sein, die eklatant die Genfer Konventionen verletzen, wie nicht nur das Beispiel des Folterlagers Guantanamo unter Beweis stellt.«

Im Vorfeld der Abstimmung fordert die IPPNW ihre Mitglieder auf, an die Bundestagsabgeordneten ihrer Region zu appellieren, gegen eine Verlängerung des Bundeswehrmandats zu stimmen. Bereits das erste OEF-Mandat vom November 2001 wurde von der IPPNW stark kritisiert. Die Rechtfertigung dieser Absicht mit einer "bedingungslosen Solidarität" gegenüber den USA entwerte den Begriff der Solidarität als Beistand für Schwächere und Benachteiligte, so die Ärzteorganisation. Bereits damals wurde vorausgesagt, dass der Afghanistan-Krieg die politische Instabilität in Pakistan fördere, einem Land mit Atomwaffen, dessen Verfügungsgewalt zunehmend zu einem Problem werden kann. An der damaligen Schlussfolgerung des Gießener Psychotherapeuten und Sozialphilosoph Professor Horst-Eberhard Richter, Ehrenvorstandsmitglied der IPPNW, hat sich bis heute nichts geändert: "Mehr Sicherheit gibt es nur durch eine Politik größerer sozialer Gerechtigkeit auf der Basis von Ebenbürtigkeit und Gleichberechtigung. Das allein ist eine konstruktive Friedenspolitik, die den Terrorismus seines Nährbodens beraubt."


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