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Appell an Abgeordnete: Sagen Sie Nein

Es gibt eine Alternative zum Krieg

Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag
  • Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung des Afghanistan-Einsatzes: Alles bleibt beim Alten
  • "Nicht der Hauch einer Abzugsperspektive"
  • Einsatz "alternativlos"? Politiker leiden unter Denkfaulheit oder Lügensucht
  • Friedensbewegung: Es gibt eine Alternative zum Krieg
  • Mit dem Abzug sofort beginnen - Akltivitäten der Friedensbewegung
Kassel, 20. Januar 2011 - Anlässlich der bevorstehenden Debatte und Abstimmung im Bundestag über die Fortsetzung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr wendet sich der Bundesausschuss Friedensratschlag mit einem dringenden Appell an Abgeordnete und Öffentlichkeit.

Am 28. Januar soll der Bundestag in dritter Lesung über den Antrag der Bundesregierung befinden, den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan um ein weiteres Jahr zu verlängern. Die Obergrenze der einzusetzenden Soldatinnen und Soldaten beträgt demnach unverändert 5.350. Schon das ist bemerkenswert, da die letztjährige Aufstockung des Personalumfangs um 500 Soldaten damals mit der zusätzlichen Absicherung der 2010 stattfindenden Parlamentswahl begründet worden war. 2011 finden in Afghanistan keine Wahlen statt; die zusätzlichen Kräfte sollen aber bleiben.

Ein weiteres Mal wird der Einsatz den Steuerzahler über eine Milliarde EUR kosten (1,0609 Mrd.). Zieht man indessen alle indirekten und Folgekosten in Betracht, so beläuft sich der Einsatz nach einer Berechnung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) auf mindestens drei Milliarden Euro. Darüber schweigt sich der Antrag der Bundesregierung aus.

Der Auftrag der Bundeswehr bleibt ebenfalls unverändert: In erster Linie geht es darum "Afghanistan bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit" zu unterstützen. Dies schließt ein die "Unterstützung für den Aufbau funktionsfähiger afghanischer Sicherheitskräfte", worunter sowohl die afghanische Armee als auch die afghanische Polizei fällt.

Von der vollmundigen Ankündigung des deutschen Außenministers Westerwelle (am 17. Dezember 2010 im Deutschen Bundestag), bereits Ende 2011 mit dem Abzug eines Teils der Soldaten zu beginnen, findet sich im Antrag der Bundesregierung nicht einmal der Hauch einer Andeutung. Dass die Bundesregierung ihren Antrag dennoch unter dem Etikett "Abzugsperspektive" vorgestellt hat, gehört entweder in das Fach Mysterienspiel oder in das Fach "Tarnen und Täuschen" der Öffentlichkeit. Am 12. Januar wurde der Kabinettsbeschluss mit den Worten verkauft: "Ab Ende 2011 könnte aber eine Reduzierung der Kräfte möglich werden." Kein Wort davon im jetzt dem Parlament vorliegenden Antrag. Stattdessen lediglich in dessen Begründung die Aussicht, drei Jahre später mit dem Abzug der "Kampftruppen" beginnen zu wollen, denn: "Die afghanische Regierung will bis Ende 2014 schrittweise die Sicherheitsverantwortung für ihr Land übernehmen."

Es bleibt also in Afghanistan alles beim Alten. Im zehnten Kriegsjahr lässt sich nur feststellen, dass die Situation nicht besser, sondern von Jahr zu Jahr schlimmer geworden ist. Von den offizielle Kriegszielen wurde keines wirklich erreicht. Terroristische Aktivitäten weltweit wurden nicht eingeschränkt, Menschen- und Frauenrechte nicht erkämpft, die bisherigen Wahlen in Afghanistan sprechen demokratischen Grundsätzen Hohn, von Wiederaufbau und Entwicklung des Landes kann keine Rede sein. Das einzige, was heute blüht in Afghanistan, sind der Mohnanbau und die Korruption.

Die Opferbilanz ist verheerend: Nach vorsichtigen Schätzungen (USA und NATO geben keine Zahlen heraus) fielen dem Krieg bisher mindestens 70.000 Menschen zum Opfer, der größere Teil davon Zivilpersonen. Die NATO hat mehr als 2000 getötete Soldaten zu beklagen, die Bundeswehr 44 Männer und Frauen. Die Wirtschaft des Landes liegt am Boden, Landwirtschaft – der wichtigste Wirtschaftszweig des Landes – ist wegen der Millionen von Minen nur sehr eingeschränkt möglich. Ein großer Teil der internationalen Hilfsgelder versickert in den Taschen der korrupten Regierung oder in den aufwändigen Apparaten unseriöser Hilfsorganisationen. Die Selbstmordrate unter Frauen ist in den letzten Jahren gestiegen, die Analphabeten-Quote ebenfalls und die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen beträgt mittlerweile knapp 50 Prozent.

Wer die Fortsetzung des Afghanistankrieges als "alternativlos" darstellt - und so wird es in der Debatte um die Mandatsverlängerung wieder passieren -, leidet unter Denkfaulheit oder unter Lügensucht (medizinisch: "Pseudologia phantastica"). Wir appellieren an die Abgeordneten, diesen auch unter Politikern grassierenden Krankheiten entgegen zu wirken. Verweigern Sie sich daher der Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes. Der Bundestag darf nicht mehr die Augen davor verschließen, dass der Kriegseinsatz nicht nur auf große Ablehnung hier zu Lande, sondern mittlerweile auch auf die Ablehnung der Mehrheit der afghanischen Bevölkerung stößt. Freunde gewinnt man nicht mit Bomben und Raketen, sondern mit ehrlichen und uneigennützigen Hilfsangeboten.

Es gibt immer eine Alternative zum Krieg. Die Friedensbewegung und viele in Afghanistan tätige zivile Hilfsorganisationen sehen Afghanistan erst dann auf einem anderen Weg, wenn die ausländischen Truppen abgezogen sind. Aufbau kann nicht im Krieg stattfinden. Deshalb bleiben die Hauptforderungen der Friedensbewegung aktuell und wichtig: Sofortiger Waffenstillstand, sofortiger Beginn des Truppenabzugs und verstärkter Einsatz ausschließlich ziviler Aufbauhilfe dort, wo es möglich und von der Bevölkerung gewünscht ist.

Der Bundesausschuss Friedensratschlag fordert die Friedensbewegung auf, die Debatte um die Mandatsverlängerung in der nächsten Woche zu einer verstärkten Aufklärung über den Afghanistankrieg zu nutzen. Hierzu gibt es einen Appell der Friedensbewegung, unter den weiterhin Unterschriften gesammelt werden sollen - bei lokalen Infoständen, Veranstaltungen, Mahnwachen, Kundgebungen und Demonstrationen. Vor Ort sollten die Bundestagsabgeordneten auf diesen Appell angesprochen und sie zum Neinsagen ermutigt werden. Der "Friedensratschlag" unterstützt ferner die Aktionen der Berliner Friedensbewegung am kommenden Donnerstag und Freitag vor dem Bundestag.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Sprecher)

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