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Kein "Weiter so"

Friedensbewegung fordert Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan

Im Folgenden dokumentieren wir eine Pressemitteilung, mit der die Friedensbewegung in die Diskussion um die Verlängerung/Nichtverlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan reagierte.



Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag
  • Kein "Weiter so"!
  • Drei Mandate - ein Oberbefehl
  • Zivile Opfer nehmen zu
  • Widersprüchliche Haltung der UNO
  • Helfen statt schießen!
  • Demo am 15. September
Kassel, 25. Juli - Die Bundesregierung reagiert auf schlechte Nachrichten aus Afghanistan regelmäßig mit der ebenso einfachen wie einfältigen Antwort: "Weiter so!" Damit gerate sie aber immer stärker in den Abwärtssog der Gewalt, den die US-Truppen im Irak bereits kennen gelernt haben und der auch in Afghanistan seine Wirkung zeige, heißt es in einer Erklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag.

Die Bundesregierung habe mit der Entsendung der Tornado-Flugzeuge im Frühjahr erneut deutlich gemacht, dass sie den von den USA 2001 proklamierten "Krieg gegen den Terror" unter allen Umständen weiter zu führen gedenke. Wenn im Herbst drei Afghanistan-Mandate im Bundestag zur Fortsetzung anstehen (Operation Enduring Freedom, ISAF, Tornado), dann handelt es sich in Wahrheit um ein und dieselbe Kriegsbeteiligung: Es ist ein Militäreinsatz unter dem einheitlichen Kommando der NATO. Im scheinbar "sicheren" Nordafghanistan stationierte deutsche ISAF-Truppen haben sich bereits 2006 verpflichtet, auf Anforderung zeitweise auch im unsicheren Süden des Landes "zu helfen", die Aufklärungsdaten der Tornados stehen dem NATO-Oberkommandierenden zur Verfügung, der nicht zwischen ISAF und OEF unterscheidet. Auch in der Bewaffnung bestehen keine Unterschiede zwischen ISAF-Truppen und der US-geführten Koalition der Willigen.

In den letzten Wochen und Monaten haben sich die Vorfälle gehäuft, bei denen Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, bei ISAF-Operationen ums Leben gekommen sind (z.B. starben Kinder am 9. und 21. Juli bei ISAF-Angriffen). Ein wichtiges Argument der Bundesregierung für die Tornado-Entscheidung hatte aber gelautet, dass solche Kollateralschäden durch die präzisen Aufklärungsdaten der Tornados künftig vermieden werden sollten. Auch die Sicherheit der Bundeswehrangehörigen und anderer deutscher Staatsbürger in Afghanistan hat sich nicht verbessert, wie der Tod von drei Soldaten am 19. Mai und der jüngste Entführungsfall belegen. Die simple Antwort der NATO und der Bundesregierung: Dann tun wir eben noch mehr für unsere Sicherheit am Hindukusch, indem wir die Zahl der Truppen erhöhen. Ein solches Tonnage-Denken hat weder die Niederlage der US-Armee in Vietnam, noch den erzwungenen Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan verhindert. Vor allem können damit nicht die "hearts and minds" der afghanischen Bevölkerung gewonnen werden. Im Gegenteil: Das Ansehen der ausländischen Besatzer befindet sich im freien Fall. "Die zivilen Opfer im Zusammenhang mit militärischen Operationen führen zu einem Vertrauensverlust bei der afghanischen wie der internationalen Öffentlichkeit", heißt es in einem vertraulichen "Bericht zur sicherheitspolitischen Lage in Afghanistan" des Auswärtigen Amts vom Juli. Und was das Schlimme dabei ist: Auch die humanitären Helfer geraten zunehmend in das Visier afghanischer Terroristen. Jede Aufstockung der Truppen verringert deren Sicherheit.

Erschrocken ist die Friedensbewegung auch über die offensichtliche Komplizenschaft des UN-Sonderbeuftragten für Afghanistan, Tom Koenigs, mit der NATO. Koenigs forderte gestern die Bundeskanzlerin in Berlin auf, ihren militärischen Beitrag in Afghanistan noch zu erhöhen und "energisch den Kurs zu halten". Der UN-Sicherheitsrat hatte in einer Erklärung letzte Woche die ISA-Truppen wenigstens noch zur Zurückhaltung ermahnt. Angesichts der hohen Zahl bei Militäreinsätzen getöteter Zivilpersonen in Afghanistan hat das höchste Organ der UNO die Truppen zu größtmöglicher "Achtsamkeit" aufgerufen. Helfen wird dies allerdings nichts, wenn man weiter auf Militär setzt.

In Übereinstimmung mit zahlreichen humanitären Organisationen, die sich stets für eine strikte Trennung von zivilen und militärischen Maßnahmen ausgesprochen haben, fordert der Bundesausschuss Friedensratschlag eine radikale Änderung der deutschen Afghanistan-Politik. Hilfe kommt nicht von Tornados oder aus Bomben und Raketen. Hilfe kommt allein von zivilen Maßnahmen, die heute schon erfolgreich in Gegenden durchgeführt werden, wo sich keine Besatuzngstruppen befinden, wie beispielsweise die "Kinderhilfe Afghanistan" immer wieder betont. Mit dem Geld, das für eine Tornado-Flugstunde ausgegeben wird, könnte in Afghanistan eine ganze Schule errichtet werden.

Der Bundesausschuss Friedensratschlag beteiligt sich aktiv an der Vorbereitung einer bundesweiten Demonstration am 15. September in Berlin. Mit dieser Aktion soll Druck auf den Bundestag ausgeübt werden, den Bundeswehreinsatz in Afghanistan nicht mehr zu verlängern. Die Friedensbewegung befindet sich mit ihrer Forderung im Einklang mit einer großen Mehrheit der Bevölkerung. Wirkliches Engagement für den zivilen Wiederaufbau des vom Krieg zerstörten Afghanistan kann erst richtig beginnen, wenn die Besatzungstruppen das Land verlassen.

Das Bündnis "Bundeswehr raus aus Afghanistan" trifft sich zur weiteren Vorbereitung der Demo am kommenden Sonntag in Berlin.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Sprecher)


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