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Obamas Ostergeschenk

Von Peter Strutynski *

Die Ostermärsche 2009 finden im Nachgang zu zwei bemerkenswerten Ereignissen statt – dem Gipfel zu 60 Jahren NATO und der Abrüstungsrede Barack Obamas in Prag

Während in Straßburg eine bewaffnete Staatsmacht alles getan hat, einen massenwirksamen Protest gegen den NATO-Gipfel zu verhindern (den Rest besorgten gedankenlose Randalierer), brachten Barack Obamas Friedensfanfaren von Prag Politik und Medien hier zu Lande regelrecht ins Schwärmen. Ob die Friedensbewegung denn jetzt überhaupt noch gebraucht werde, fragten scheinheilig sorgenvoll Kommentatoren und Leitartikler, wenn sich die einzige Weltmacht an deren Spitze zeige?

Der wichtigste Trumpf

Eine erste Antwort darauf sind die Ostermärsche 2009 selbst. Kein einziger wurde abgesagt oder musste mangels Zulauf abgebrochen werden. Ein gegenteiliger Trend ließ sich freilich auch nicht verzeichnen: Die Friedensbewegung reagiert gelassen auf die Träume Obamas und demonstriert „business as usual“. Auch im Vorfeld des Irak-Krieges, als der damalige Kanzler Gerhard Schröder kurz vor einer Bundestagswahl die Außenpolitik entdeckte und sich zusammen mit dem damaligen französischen Präsidenten Jacques Chirac als Gegner des von den USA geplanten Irak-Kriegs zu erkennen gab (was ihm die notwendigen Prozente für einen knappen Wahlsieg bringen sollte), wurde der Friedensbewegung keineswegs der Stachel gezogen. Im Gegenteil: Die Demonstration gegen den Krieg am 15. Februar 2003 wurde zum größten friedenspolitischen Ereignis, das Berlin je erlebt hatte. Ohnehin hielt sich das Zutrauen in die plötzliche Friedfertigkeit von Rot-Grün in Grenzen. Schließlich hatte es 1999 einen Jugoslawien-Krieg gegeben. Zudem stand ein zumindest indirekter Beistand für die Intervention im Irak niemals zur Disposition.

Mit Barack Obama liegt der Fall etwas anders. Verglichen mit seinem Vorgänger hält der neue US-Präsident viele Trümpfe in der Hand, der wichtigste: Er gilt als weltoffener, den Freiheits- und Menschenrechten verpflichteter Demokrat, der nicht mit Brachialgewalt US-Interessen in aller Welt durchsetzt, sondern die Kooperation mit Partnern und den Dialog mit Gegnern sucht. Beim NATO-Gipfel in Straßburg angekommen, wollte er erst einmal „zuhören“, was die anderen Regierungschefs zu sagen hatten.

Auch spricht vieles dafür, dass man sich auf Obamas Wort verlassen kann. Schon in seiner Berliner Rede am 24. Juli 2008 hatte er verkündet, dafür eintreten zu wollen, dass früher oder später alle Nuklearwaffen verschwinden. Die Vision einer atomwaffenfreien Welt wurde in der Prager Rede erneut und nun mit präsidialer Autorität beschworen. Zugleich kam es bei diesem Auftritt indirekt zu einer Entschuldigung für die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945. Eine mutige Geste, zu der sich vor Obama noch kein amerikanischer Präsident durchringen konnte. Von einer atomwaffenfreien Welt haben hingegen seit Eisenhower fast alle gesprochen, ob Kennedy, Ford, Carter oder Clinton.

Natürlich steht eines außer Frage – unterwegs zu einer atomaren Abrüstung sind noch viele Hindernisse abzuräumen. Die meisten davon in den Vereinigten Staaten selbst, denn was Obama auch immer vorhaben mag, der Abrüstungs-Enthusiasmus des militärisch-industriellen Komplexes und der Geostrategen in den US-Think Tanks hält sich in Grenzen. Auch wenn Obamas Geschenk an die Welt, an die Friedensbewegung und damit die Ostermarschierer kein faules Ei ist, wird doch der Präsident kaum allein erreichen, was er will. Er ist darauf angewiesen, dass seine Vision „von unten“ unterstützt wird und seine Regierung friedenspolitischen Druck verspürt. Dabei gerät auch die deutsche Politik in den Blick, die Obama entgegenkommen könnte, indem sie den Abzug aller in Deutschland lagernden US-Kernwaffen als einen ersten Schritt auf dem Weg zu einer kernwaffenfreien Zukunft verlangt, wie das bei den Ostermärschen immer wieder zu hören ist. Bislang beharrt die Kanzlerin noch auf der „nuklearen Teilhabe“ Deutschlands.

Ob es Obama gefällt oder nicht

Auch in Afghanistan hält Obama Wort. Als Kandidat versprach er eine merkliche Aufstockung der Truppen am Hindukusch; jetzt werden 21.000 zusätzliche GIs in Marsch gesetzt. Und seine Forderung an den US-Kongress nach Aufstockung der Mittel für den geordneten Abzug aus dem Irak und einen fortgesetzten Krieg am Hindukusch entbehrt jede Bescheidenheit: Es geht um zusätzliche 83 Milliarden Dollar, wovon der Löwenanteil, nämlich 75 Milliarden für mehr militärische Schlagkraft aufgewendet werden soll. In diesem Fall entpuppt sich Obamas „neue Strategie“ als Fortsetzung der Politik seines Vorgängers, sie läuft Gefahr, den Krieg auch nach Pakistan zu tragen. Dabei werden die NATO-Partner sehr viel wirkungsvoller als zu Zeiten von George W. Bush unter Druck gesetzt, auch ihrerseits mehr zu tun, sowohl in militärischer als auch in ziviler Hinsicht. Experten sind sich einig: Dieser Krieg ist militärisch nicht zu gewinnen. Und die Friedensbewegung tut gut daran, dem Afghanistan-Krieg mehr Widerstand entgegen zu setzen. Ob es Obama gefällt oder nicht.

Aus: Wochenzeitung "Freitag", online-Ausgabe, 13. April 2009; www.freitag.de


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