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"Immer sind deutsche Truppen dabei, wenn es um Kriege und Militäreinsätze in aller Welt geht"

Von Inge Höger *

Deutsche Soldaten in alle Welt - SAG NEIN!

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

während wir hier in Deutschland mit den Ostermärschen für Frieden und soziale Gerechtigkeit demonstrieren, haben die Kriege im Irak und in Afghanistan am Wochenende erneut Blutzoll gefordert. Das Regierungsviertel in Bagdad - die gut gesicherte grüne Zone - lag unter Sperrfeuer und verschiedene Anschläge forderten im Irak über 50 Todesopfer. Und auch in Afghanistan gab es viele Opfer sowohl unter Zivilisten als auch unter Polizisten und Soldaten. In Kunduz, wo Bundeswehreinheiten ihr Lager haben, traf es einen Polizeichef.

Deutsche Soldaten kämpfen in aller Welt - liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde - wer von uns hätte sich das vor 10 Jahren träumen lassen.

Nach zwei Weltkriegen stand für die Mehrheit der deutschen Bevölkerung fest: "Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!" Die Menschen waren sich einig, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen solle und das deutsche Soldatinnen und Soldaten sich nicht an kriegerischen Auseinandersetzungen in anderen Ländern beteiligen dürfen. Im Grundgesetz wurde festgeschrieben, dass die Bundeswehr nur zur Verteidigung aufgestellt ist.

Inzwischen hat sich an der Meinung der Menschen im Lande nichts geändert, aber die Regierungen handeln gegen die Mehrheit der EinwohnerInnen.

Die Militarisierung der deutschen Außenpolitik geht in einem Ausmaß und einer Schnelligkeit voran, die sich weder die Friedensbewegung noch die deutsche Bevölkerung hätte träumen lassen. Immer sind auch deutsche Truppen mit dabei, wenn es um Kriege und Militäreinsätze überall auf der Welt geht. Knapp 7.300 Soldatinnen und Soldaten sind gegenwärtig an 11 Auslandseinsätzen rund um den Globus beteiligt.

Mit den Verteidigungspolitischen Richtlinien Anfang der 90er Jahre wurde der Boden bereitet. Mit dem Krieg in Jugoslawien wurde dann Ernst gemacht. Immer noch befinden sich 140 Soldatinnen und Soldaten in Bosnien-Herzegowina und 2.680 im Kosovo. Das ehemalige Jugoslawien wurde in viele Einzelstaaten aufgeteilt und sowohl Bosnien-Herzegowina als auch das Kosovo sind EU-Protektorate.

Für die Besatzungsmandate wurden im Bundestag erheblich größere Obergrenzen beschlossen als derzeit im Einsatz sind: für EUFOR in Bosnien-Herzegowina bis zu 2.400 und für KFOR im Kosovo ist die Höchstgrenze 8.500. Bei einer Bedarf - wer auch immer den festlegt: die EU? NATO? - können ohne neue Abstimmungen im Bundestag schnell mal zusätzliche Truppen auf den Balkan geschickt werden.

Der Krieg ist noch lange nicht zu Ende, sondern wurde mit der von den USA und der EU provozierten Unabhängigkeitserklärung des Kosovo weiter geschürt.

Die einseitige Unabhängigkeitserklärung ist völkerrechtswidrig. Damit ist die Grundlage für den Einsatz der KFOR-Truppen entfallen.

Die Truppen sollten auf Grundlage der UN-Resolution 1244 für ein stabiles und sicheres Umfeld für Verhandlungen über den künftigen Status der serbischen Provinz Kosovo sorgen. Der Verbleib von deutschen Soldaten hat unter diesen neuen Bedingungen keinerlei völkerrechtliche Legitimation mehr.

Wir fordern die Bundesregierung auf, die Anerkennung des Kosovo zurück zu nehmen und ihre Truppen abzuziehen!

Nicht nur auf dem Balkan sind deutsche Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Seit Ende 2001 beteiligen sich deutsche Truppen an dem Krieg der USA gegen Afghanistan. Wenn es den 11. September nicht gegeben hätte, hätten die USA ihn erfunden, um den lange vorbereiteten Krieg in Afghanistan beginnen zu können. Deutschland beteiligt sich sowohl an Enduring Freedom, dem Kampf gegen den angeblichen Terror der Al Quida, als auch an der sog. Stabilisierungs- und Aufbaumission ISAF. In Wirklichkeit sind beide Einsätze nicht zu trennen. Sie werden von einem gemeinsamen Oberkommando geführt und kämpfen beide gegen Taliban oder Aufständische.

Im Rahmen von OEF waren immer mal wieder Kommando-Spezialkräfte in Afghanistan. Zurzeit befinden sich im Rahmen von OEF 240 Soldaten und Soldatinnen am Horn von Afrika. Das Horn von Afrika ist als Seeweg für die Industrie- und Exportnation Deutschland besonders wichtig zu schützen. Hier zeigt sich die im Weißbuch der Bundeswehr beschriebene Aufgabe der Sicherung der Handelswege ganz plastisch.

Das Bundestagsmandat für OEF ist mit einer Mandatsobergrenze von 1.500 Soldaten bewilligt. Auch hier kann das Verteidigungsministerium ohne neue Beratung ganz schnell Truppen in Bewegung setzen.

Nicht nur am Horn von Afrika sondern auch im Mittelmeer sind zur Zeit 460 deutsche Soldatinnen und Soldaten unterwegs. Nach dem Überfall Israels auf den Libanon ließ sich die Bundeswehr durch die NATO zu dem Mandat UNIFIL vor den Küsten des Libanons bitten. Hier sind Fregatten mit Bordhubschraubern, Versorgern und Tendern sowie Schnellbooten unterwegs. Angeblich um Waffenschmuggel zu verhindern. Aber auch auf der Homepage der Bundeswehr wird deutlich, dass es um Aufklärung und Kontrolle der Seewege geht. Vom Balkan über das Mittelmeer, vom Horn von Afrika bis Afghanistan, hier wird der Nahe und Mittlere Osten systematisch eingekreist. Ganz schnell können bis zu 1.800 Soldatinnen und Soldaten in Mittelmeer geschickt werden. Das trägt nicht zur Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes bei.

Deutsche Fregatten haben nichts im Mittelmeer zu suchen. Die Bundesregierung soll die deutsche Marine von den Küsten Libanons zurückrufen!

In Afghanistan befinden sich im Rahmen des Mandats ISAF und für die Tornado-Luftaufklärung zurzeit 3.670 Soldatinnen und Soldaten. Dabei gibt das Mandat nur eine Höchstgrenze von 3.500 her. Im Rahmen eines Kontingentwechsels wurde die Höchstgrenze mal eben vorübergehend überschritten.

Dies ist ein weiterer Schritt der immer stärkeren Einbindung in diesen Krieg. Es passt gut in die Debatte, das Mandat bei der nächsten Verlängerung im Herbst zu erhöhen, weil die Militärs mehr Spielraum brauchen.

Seit Anfang des Jahres wird scheinbar ganz selbstverständlich von Krieg und Kampfeinsätzen in Afghanistan geredet. Die deutschen Medien begleiten diese Debatte mit Sätzen wie "Wer sich in einen Krieg begibt, wird irgendwann kämpfen müssen." Und "Wer kämpft muss auch Tote in Kauf nehmen."

Dabei war der letzte Eskalationsschritt in Afghanistan - der Einsatz von deutschen Tornados zur Luftaufklärung in ganz Afghanistan heftig umstritten. Die Tornados liefern den NATO-Truppen Bilder für ihre Bombenziele. Zwei Drittel der deutschen Bevölkerung waren und sind gegen die Entsendung der Tornados. Erstmals gab es bei einer Abstimmung im deutschen Bundestag über ein Kriegsmandat 157 Gegenstimmen und 11 Enthaltungen.

Im letzten Frühjahr und Sommer über gab es viele Protestaktionen gegen die Eskalation des Krieges in Afghanistan. Sie gipfelten in einer großen Demonstration im September in Berlin. Gleichzeitig erzwang die Basis von Bündnis90/DIE GRÜNEN einen Sonderparteitag. Der grüne Parteitag sprach sich gegen die Beteiligung am Afghanistan-Krieg aus und forderte die Fraktion auf, gegen die Fortsetzung der Mandate zu stimmen. Auch in der SPD gab es Diskussionen und Teile der SPD verlangten die Einstellung der Beteiligung an der US-geführten Operation Enduring Freedom (OEF).

Die Bundesregierung versuchte der Kritik den Wind aus den Segeln zu nehmen durch den Hinweis, dass OEF und ISAF unterschiedliche Aufgaben hätten. Es durfte schon mal Kritik am Vorgehen der US-Truppen gegen die Zivilbevölkerung geäußert werden. Damit wird auch gerechtfertigt, warum man diesen Krieg die USA nicht allein führen lässt. Die Bundesregierung will für Deutschland eigene Interessen in dieser geostrategisch so wichtigen Region sichern und besteht auch deshalb auf einem eigenen Einsatzgebiet ohne Unterordnung unter die Interessen der USA.

Gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung wurde letztendlich die Verlängerung der Mandate von ISAF und OEF durch die Mehrheit der Abgeordneten des Bundestages beschlossen, wenn auch mit vielen Gegenstimmen.

Und ohne große öffentliche Beachtung fanden dann bereits im Herbst letzten Jahres die ersten größeren deutschen Kampfeinsätze im angeblich so friedlichen Norden und Westen Afghanistans statt. Unter deutschem Kommando gingen deutsche und afghanische Soldaten mit einer norwegischen Kampfeinheit gegen Aufständische vor. Die Norweger sprachen von den schwersten Kämpfen seit dem zweiten Weltkrieg.

Generalinspekteur Schneiderhan erklärte erstmals, auf Deutschland käme auch die Beteiligung an einer neuen schnellen Eingreiftruppe - einer Quick Reaction Force - im Rahmen von ISAF zu.

Immer deutlicher wurde und wird die Entschlossenheit der deutschen Regierung, sich zusammen mit den US-Truppen auf Jahre und Jahrzehnte in Afghanistan festzusetzen.

Deshalb darf es uns nicht überraschen, wenn Berlin sich nun auf offensive Kampfeinsätze vorbereitet und die Quick-Reaction-Force von den Norwegern übernehmen wird. Nach der Entscheidung über den Einsatz von Bundeswehrtornados für die Luftaufklärung auch im umkämpften Süden, nach der Beteiligung an umfangreichen Kampfhandlungen im Norden und Westen im Herbst unter deutschen Oberkommando wäre dies nun der dritte Meilenstein, mit dem sich Deutschland immer tiefer in den Krieg am Hindukusch verstrickt. Wenn Deutschland schon am Hindukusch verteidigt wird, soll das deutsche Volk nun nach und nach an die Normalität von Kriegseinsätzen gewöhnt werden.

6 1/2 Jahre nach Beginn der von der NATO angeführten Intervention geht es den Menschen in Afghanistan schlechter denn je und der Krieg ist wieder richtig in Fahrt gekommen. Das Land wird in die Steinzeit zurückgebombt. Den Menschen wird ihre Existenzgrundlage genommen. Die Landwirtschaft liegt am Boden zerstört. 70 % der Afghaninnen und Afghanen leiden an chronischen Nahrungsmangel. 60 % der Menschen haben kein geregeltes Einkommen. 90% der Frauen können weder lesen noch schreiben. Die Mütter- und Kindersterblichkeit ist eine der höchsten der Welt.

Die Taliban sind so stark wie seit Jahren nicht mehr. Der Drogenanbau ist das einzige was funktioniert.

86 % der deutschen Bevölkerung sind gegen den Krieg in Afghanistan. Bundeswehr raus aus Afghanistan!

Seit fünf Jahren führen die USA ihren Krieg gegen den Irak. Begonnen wurde dieser Krieg mit der Lüge, der Irak würde über Massenvernichtungsmittel verfügen, die auch Europa bedrohen könnten. Diese Lüge ist längst entlarvt, aber der Krieg geht trotzdem weiter.

Vor fünf Jahren haben viele Millionen Menschen weltweit gegen diesen Krieg demonstriert. In Deutschland gewann die damalige Schröder-Fischer-Regierung Wahlen, weil sie sich gegen den Krieg aussprach. Dies hielt weder die damalige noch die heutige Bundesregierung davon ab, diesen Krieg mit Logistik und Überflugrechten zu unterstützen. US-Kampf- und Transportflugzeuge starten von deutschem Boden mit Soldatennachschub und Bombenfracht.

Deshalb: Schließung der US-Stützpunkte in Deutschland. Keine Überflugrechte für ausländische Kriegsteilnehmer!

Die Bilanz von fünf Jahren Krieg im Irak ist verheerend. Die Zahlen über die durch direkte und indirekte Kriegseinwirkungen ums Leben gekommenen Menschen schwanken zwischen 80.000 und einer Million Menschen. Wahrscheinlich kommt der Tod von einer Million Menschen der Realität am Nächsten.

Darüber hinaus sind vier Millionen Menschen auf der Flucht. Zwei Millionen Irakerinnen und Iraker sind Flüchtlinge im eigenen Land und zwei Millionen sind in benachbarte Länder geflohen.

Mehr als vier von zehn Irakerinnen und Irakern leben von weniger als einem Dollar pro Tag. Das einmal für die arabische Region vorbildliche und von der UNO ausgezeichnete Gesundheits- und Bildungssystem stehen vor dem Zusammenbruch. Die Menschen haben weder genügend Nahrung noch Medikamente. In irakischen Kliniken fehlt es an Betten und Personal.

Der Krieg hat zu einer humanitären Katastrophe in diesem Land geführt.

Nach einer neuesten Schätzung über die Gesamtkosten hat allein der Irak-Krieg die USA drei Billionen US-Dollar gekostet. Darüber hinaus hat der Krieg ums Öl dafür gesorgt, dass der Ölpreis von 25 $ pro Fass auf 100 $ gestiegen ist. Auch die gestiegenen Kosten für Öl gehören zu den Kosten des Krieges. Die sind fatal für die Industrienationen USA und Europa, aber für die Wirtschaft Afrikas sind sie tödlich.

Der Krieg im Irak muss wie alle anderen Kriege auf der Welt beendet werden!

Die Militarisierung der deutschen Außenpolitik geht mit Riesenschritten voran. Deutsche Soldatinnen und Soldaten sind heute weltweit im Einsatz. Vom Balkan über das Mittelmeer und das Horn von Afrika bis nach Afghanistan und Georgien. Die Bundeswehr ist von einer Verteidigungsarmee zu einer Armee im Einsatz geworden. Stolz sprechen die Zuständigen im Verteidigungsministerium statt von einem Verteidigungs- von einem Einsatzhaushalt.

Mit Milliarden wird die Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee zu einer Interventionsarmee umgebaut und mit alten und neuen Waffensystemen ausgerüstet.

Der Rüstungshaushalt ist der einzige Einzelposten im Haushaltsplan mit Steigerungsraten. Krieg und Sozialabbau sind zwei Seiten einer Medaille.

Schluss mit Kürzungen bei Renten und Gesundheit! Weg mit den Hartz-Gesetzen!
Abrüstung statt Sozialabbau!
Deutsche Soldaten in alle Welt - SAG NEIN!

* Inge Höger ist Mitglied des Deutschen Bundestages für die Fraktion DIE LINKE.

Bei diesem Text handelt es sich um das Redemanuskript zum Ostermarsch in Dortmund, 24. März 2008



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