"Potsdam wird zu einer Militärmetropole"
Rede von Tobis Pflüger* auf einem vorgezogenen Ostermarsch in Potsdam
* Tobias Pflüger ist Sprecher der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V., Tübingen.
Zuerst eine kurze Vorbemerkung zum heutigen Datum.
Genau heute vor 3 Jahren griff die NATO Jugoslawien an.
Es scheint schon ewig her zu sein. Nein, nur 3 Jahre.
Bis heute werden die Verbrechen der NATO während dieses
völkerrechtswidrigen und grundgesetzwidrigen Angriffskrieges - Stichwort
Zivilopfer in Jugoslawien, Stichwort: Zerstörung von Infrastruktur - geleugnet.
Bis heute gibt es keine Entschädigung für die Zerstörungen und das Leid, das
man den Menschen durch den NATO-Krieg in Jugoslawien angetan hat.
Bis heute sind die gemeingefährlichen revisionistischen Geschichtsvergleiche
von Gerhard Schröder, Joschka Fischer und Rudolf Scharping (es sei im
Kosovo wie in Auschwitz, es gäbe KZs im Kosovo, Milosevic sei wie Hitler)
nicht zurückgenommen.
Wir fordern von hier aus: Zahlt endlich Entschädigung an die Opfer der NATO-Angriffe z.B. in Vavarin!
Und wir fordern, daß sich die Regierenden der NATO-Staaten vor einem unabhängigen Gericht
für ihren damaligen Krieg zu verantworten haben!
Hinter uns liegt eine Kaserne, die nicht unbedingt danach aussieht, daß hier, in
Potsdam-Geltow, ein ganz besonderer Standort der Bundeswehr ist.
Potsdam wird - leider wieder - zu einer Militärmetropole.
Hier sitzen - neben dem Einsatzführungskommando - eine ganze Reihe von
zentralen Militäreinrichtungen:
- 1.Fernmeldebataillon
- Feldjägerbataillon 352
- Kraftfahrausbildungszentrum
- Kreiswehrersatzamt Potsdam WV
- Stab / Stabskompanie Verteidigungsbezirkskommando 84
- Standortverwaltung Potsdam
- Fernmeldesektor 706
- Militärgeschichtliches Forschungsamt (MGFA)
- Sportfördergruppe Potsdam
- Und weitere kleinere Dienststellen
Und neuerdings, seit dem 01. März 2002 hat Potsdam - eingegliedert in die
eigentlich zivile Universität Potsdam das "Potsdam Center for Transatlantic
Security and Military Affairs" (abgekürzt TSMA) (dazu später mehr).
Die Wiederbelebung der unheilvollen Militärtradition Potsdams - Stichwort
"Preussen" - scheint die Regierenden nicht zu stören - im Gegenteil:
Rudolf Scharping dazu am 09.10.2000:
"Auch in der Bundeswehr der Zukunft nimmt Potsdam einen bedeutsamen
Platz ein. Mit dem teilstreitkraftgemeinsamen Einsatzführungskommando wird
die Stadt künftig eine der bedeutendsten Dienststellen der Bundeswehr vor
ihren Toren beherbergen."
Wir rufen Ihnen zu Herr Scharping: Wir wollen keine Wiederbelebung preussischer Militärtraditionen! Wir wollen nicht, daß Potsdam sich neuerlich zu einem zentralen
Militärzentrum entwickelt! Wir wollen ein Potsdam von dem nicht Krieg, sondern Frieden aus geht!
Das "Potsdam Center for Transatlantic Security and Military Affairs" soll eine
militärische Denkfabrik werden. 3 Mio. Euro jährlich werden durch Bund, Land
und Private in dieses Institut gesteckt. Und das zu einer Zeit, in der ansonsten
alles kaputt" gespart" wird an den Universitäten.
Margarita Mathiopoulos die neue Honorarprofessorin dieses Militärinstitutes
kommt direkt vom britischen Kriegswaffenkonzern British Aerospace und war
dort zuständig für Planung der Konzerngeschäfte in Europa und Nordamerika.
Sie forderte von der deutschen Gesellschaft ein "unverkrampftes Verhältnis zum
Militär" sowie ein neues Verhältnis "zur materiell-technologischen Basis dieser
modernisierten Streitkräfte ...zur Rüstungsindustrie"
Ehrenvorsitzender des Institut ist der ehemalige US-Aussenminister Henry
Kissinger.
Kissinger, dessen üble Rolle u.a. im Vietnam-Krieg jetzt endlich publizistisch
aufbereitet ist. Mit Mathiopoulos und Kissinger ist klar, was in der neuen
Militärdenkfabrik passiert:
"In diesem Prestigeobjekt grübeln Wissenschaftler, Militärs und Politiker über
neue Militärstrategien und über die Rolle der Bundeswehr", so die Berliner
Zeitung oder deutlicher, hier werden zukünftige Kriege vorgedacht.
Wir fordern statt Geld für eine Denkfabrik zum besseren Kriegführen,
Geld in die Friedensforschung!
Wir wollen eine Denkfabrik zur Kriegsplanung weder hier in Potsdam noch
anderswo!
Was ist denn nun dieses "Einsatzführungskommando" (hier hinter uns)?
Am 29.01.2001 legte Rudolf Scharping sein Ressortkonzept für die
Neustrukturierung der Bundeswehr vor. Wesentliches Element dabei war die
Aufstockung (und Umbenennung) der damaligen 53.600 Krisenreaktionskräfte
auf 150.000 Einsatzkräfte, mit denen die de facto Hauptaufgabe der
Bundeswehr, nämlich Auslandseinsätze durchgeführt werden sollen.
Neu eingeführt wurde mit dem Ressortkonzept ein sog.
"Einsatzführungskommando",
nachdem es über Jahre hinweg Vorplanungen dazu gab.
"Das EinsFüKdoBW ist ein zur Planung und Führung von Einsätzen deutscher
Streitkräfte ausgelegtes Kommando und untersteht dem Inhaber der Befehls-
und Kommandogewalt unmittelbar. Unterhalb des Ministeriums werden
Einsätze der Bundeswehr künftig grundsätzlich durch das
Einsatzführungskommando geführt", so die offizielle Aufgabenzuschreibung.
Doch hier ist eine ganz besondere Einrichtung der Bundeswehr. Der derzeit
noch höchste Soldat der Bundeswehr, Generalinspekteur Harald Kujat, sagt
dazu pathetisch:
"Das Einsatzführungskommando der Bundeswehr steht als das Herzstück der
künftigen Führungsstruktur für die ganze Bundeswehr gleichsam als Symbol für
diese Ziele. ... Ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg der Neuausrichtung der Bundeswehr
ist damit erreicht. ... Erstmalig in der Geschichte der Bundeswehr besitzen wir mit dem
Einsatzführungskommando eine nationale teil-streitkraft-gemeinsame
Führungsfähigkeit."
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung / FAZ ist bezüglich des Stellenwertes des
Einsatzführungskommando noch deutlicher:
"Mit dem
Einsatzführungskommando verfügt die Bundeswehr über einen operativen
Führungsstab auf der Armee-Ebene, der in seinen Funktionen Aufgaben
wahrnimmt, die in den früheren deutschen Armeen von Generalstäben
wahrgenommen wurden", so die FAZ.
In der Überschrift des zitierten FAZ-Artikels steht es noch klarer:
"Das Einsatzführungskommando der Bundeswehr nimmt die Aufgaben eines
Generalstabs wahr."
Ein Generalstab, der nach dem Willen der siegreichen Alliierten nach dem
Zweiten Weltkrieg nie wieder sein sollte. Eine politisch-militärische Führung mit
einem so starken Einfluss der führenden Militärs sollte es für Deutschland nicht
mehr geben.
Manchmal ist man schon überrascht, wie offen die FAZ die Militärpolitik
beschreibt: Die FAZ sagt das über das Einsatzführungskommando, was ich mir
bis dahin kaum getraut hatte, zu sagen.
Das Einsatzführungskommando ist also ein De-facto-Generalstab der
Bundeswehr.
Das ist geschichtlich hochproblematisch.
Wir sagen von hier aus ganz deutlich:
Wir wollen keinen neuen De facto Generalstab für deutsches Militär!
Was passiert nun im Einsatzführungskommando?
Die neuen Auslandseinsätze der Bundeswehr (ISAF, ENDURING FREEDOM)
werden in Potsdam-Geltow in der hiesigen Henning-von-Tresckow-Kaserne
koordiniert.
Die Bundeswehr hat derzeit ca. 10.000 Soldaten im Auslandseinsatz.
Diese gliedern sich im wesentlichen fünf Einsätze: SFOR in Bosnien, KFOR im
Kosovo, Fox in Mazedonien, ISAF im Großraum Kabul / Afghanistan und der
umfassendste Einsatz der Bundeswehr aller Zeiten "Enduring Freedom".
Beim Einsatz "Enduring Freedom" geht einigen so langsam der Überblick
verloren, z.B. dem Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses Helmut
Wieczorek.
Bundeswehrsoldaten sind derzeit im Rahmen dieses Einsatzes in Kuwait, in
Kenia, in Djibouti, am Golf von Aden, im südlichen Roten Meer, im Seegebiet
entlang der Küste von Somalia, im Mittelmeer, in Usbekistan, im Oman, im
Iran, in den USA mit AWACS-Flugzeugen, in der Türkei und nicht zu
vergessen, mitten in Kämpfen in Afghanistan.
Der Bundeswehreinsatz in Kuwait mit derzeit 50 Soldaten ist - trotz aller
Leugnungen der Regierung - der Vorbote eines fest geplanten Angriffs auf den
Irak.
Nach Angaben von US-Experten wird ein Krieg gegen den Irak zwischen Mai
und Oktober kommen.
Wir sagen ganz deutlich von hier aus:
Gemeinsam mit der übergroßen Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung:
-
Wir lehnen einen Angriff auf den Irak ab.
- Wir wollen keinen neuen Golfkrieg!
- Ein neuer Golfkrieg würde die weltpolitische Situation weiter enorm eskalieren!
- Die "Achse des Bösen" von George W. Bush ist reiner Unsinn!
Dagegen setzen wir eine "Achse des Friedens"
und demonstrieren gegen den laufenden Krieg und
den geplanten Irak-Krieg am 21. Mai in Berlin.
Und: An die Regierenden: Zieht die Soldaten sofort aus Kuwait ab!
Die diversen Bundeswehreinsätze rund um Somalia sind - trotz aller
Leugnungen der Regierung - Vorboten eines Angriffes auf das arme Land
Somalia. Dieser Bundeswehreinsatz droht noch schneller zu kommen, als der
Irakkrieg.
Wir lehnen auch einen Krieg im Zusammenhang mit Somalia ab!
An die Regierenden:
Gebt den Menschen dort Brot statt Bomben und laßt sie ansonsten in Frieden!
Der geheime Einsatz des Kommando Spezialkräfte (KSK) in Afghanistan war
Teil des brutalen Krieges in der Region Gardes.
Christian Ströbele hat dieses Krieg dort zurecht als "Vernichtungskrieg"
bezeichnet.
Dort werden die brutalen Thermobaric-Bomben eingesetzt, die alles verbrennen.
U.a. deshalb wurden kaum Leichen von den angegeben mindestens 800
getöteten Gegnern gefunden.
Zu diesen Gegnern: Es seien El Kaida-Kämpfer und Taliban. Es sind aber auch
viele Zivilisten, die sich dort bewegen, viele unabhängige Stammeskämpfer,
viele ehemalige Nordallianz-Kämpfer, die sich nicht der neuen US/Karsai-Linie
beugen wollen, die in Afghanistan derzeit zusammengeschossen, verbrannt,
vernichtet werden.
Hört endlich mit diesem dreckigen Krieg auf!
Der Einsatz des KSK muß nicht aus Schutz der Soldaten geheim gehalten
werden, sondern um die rot-grüne Regierung zu schützen.
Diese Regierung ist zu feige hinzustehen und zu sagen, ja wir nehmen Teil an
einem brutalen Zerstörungskrieg, an einem Zerstörungskrieg der gegen
Völkerrecht und Kriegsvölkerrecht verstößt.
Was machen die KSK-Soldaten, wenn sie das tun, was Rudolf Scharping sagt:
"Taliban jagen und gefangen nehmen?" Übergeben sie diese dann an die
befehlshabenden US-Truppen? Das ist ein Bruch des Kriegsvölkerrechts, weil
diese die Gefangenen nicht als Kriegsgefangene behandeln (Stichwort:
"Guantanamo")
An die Soldaten des KSK geht deshalb die Aufforderung aufgrund der
Rechtslage (Bruch des Kriegsvölkerrechts) ihren Dienst zu quittieren!
Diese ganzen brutalen Kriegseinsätze werden von hier aus - von
Potsdam-Geltow - koordiniert.
Aber damit nicht genug: Die fast fertig aufgebaute EU-Interventionstruppe mit
60.000 Mann kann vom Einsatzführungskommando aus befehligt werden, denn
das Einsatzführungskommando ist auch der "Kern eines Operation
Headquarters der Europäischen Union (EU)".
Also Militärinterventionen der EU, ob mit oder ohne Rückgriff auf
NATO-Equipment, sollen vom Einsatzführungskommando in Potsdam gesteuert
werden.
Wir wollen auch kein europäisches Headquarter für EU-Interventionen in
Potsdam!
In Potsdam-Geltow befindet sich also die Einsatzzentrale für die Kriegsführung
mit deutscher Beteiligung, das deutsche Kriegsführungskommando quasi.
Bei diesem Kriegsführungskommando, dem De-facto-Generalstab der
Bundeswehr ist Protest und Widerstand an der richtiger Stelle.
Der Terroreinsatz der USA, Deutschlands und der anderen Alliierten heißt:
"Enduring Freedom", "Dauerhafte Freiheit", besser wäre "Enduring War".
Gegen diesen umfassenden Terrorkrieg ist umfassender Widerstand notwendig:
"Enduring Restistance", "Dauerhafter Widerstand!"
Die Kundgebung fand am 23. März statt, anlässlich des Jahrestages (24. März) des Beginns des NATO-Kriegs gegen Jugoslawien im Jahr 1999.
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