Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Berichterstattung über die Ostermärsche 2003

Friedensbewegung in den Medien

Zu den diesjährigen Ostermärschen gibt es zahllose Pressemeldungen in überregionalen und lokalen Zeitungen. Wir können hier nur eine kleine Auswahl davon dokumentieren.

Beginnen wollen wir mit einer Übersicht über die Aktivitäten, die sich relativ eng an den Angaben der Organisatoren orientiert, aus der "jungen Welt":

In 105 deutschen Städten und einigen im benachbarten Ausland haben über die Feiertage die traditionellen Ostermärsche stattgefunden, die dieses Jahr ganz im Zeichen des Irak-Krieges standen. Während einige Medien und Nachrichtenagenturen die Teilnehmerzahl kleinrechneten und an den vorhergegangenen Friedensdemonstrationen maßen, zeigte man sich im zentralen Ostermarsch Büro in Frankfurt am Main zufrieden. Etwa doppelt so viele Menschen wie im Vorjahr seien zu den Märschen gekommen, deren Anzahl zudem größer gewesen sei, hieß es auf Nachfragen der jW. Beim Netzwerk Friedenskooperative hieß es: "Niemand in den Friedensorganisationen hatte erwartet, daß man zu Ostern an die riesige Beteiligung zu Kriegsbeginn anknüpfen könne. Die Osteraktionen haben eine verjüngte und selbstbewußte Bewegung gezeigt."
Zu den Aufrufern hatten neben den alten Friedensorganisationen auch zahlreiche neue örtliche Bündnisse, das globalisierungskritische Netzwerk ATTAC sowie verschiedene Gewerkschaftsgliederungen gehört. Von Mülheim bis Saßnitz, von Aalen bis Zwickau demonstrierten mehrere zehntausend Menschen. Weitere Ostermärsche gab es in den Niederlanden, Luxemburg, der Schweiz und Österreich. An den größten Märschen nahmen jeweils über 5000 Menschen teil, so in Frankfurt/ Main, im nordbrandenburgischen Fretzdorf und in Hamburg. Dort mahnte der Schauspieler und Gewerkschafter Rolf Becker die Teilnehmer, auch gegen den "Krieg im Inneren", die schlimmsten sozialen Einschnitte in der Geschichte der Bundesrepublik, zu kämpfen. Ein Thema, das auch andernorts aufgegriffen wurde. Im schleswig-holsteinischen Kiel machten Redner zum Beispiel auf die wachsende Unterdrückung im Inneren aufmerksam, die mit der Militarisierung der Außenpolitik einher gehe. In Berlin gingen etwa 2000 Menschen auf die Straße.
Im Mittelpunkt der meisten Reden stand allerdings die scharfe Kritik am Irak-Krieg, der aus wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen geführt worden sei. Vielfach waren Forderungen nach dem Rückzug der Besatzer zu vernehmen. Insbesondere wurde die Bundesregierung angegriffen, da sie der Allianz nicht die Überflugrechte verweigert und "praktische Unterstützung" geleistet habe.
Auch die Aufrüstung der Bundeswehr zu einer Interventionsarmee und der Aufbau einer EU-Militärmacht wurden von einigen Rednern angegriffen. Wiederholt wurde auf die neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien hingewiesen, die im Mai vorgelegt werden sollen und vermutlich das Konzept eines vorbeugenden Krieges beinhalten werden.
Vielfach wurde in Kundgebungsreden und auf Transparenten die Stärkung der Vereinten Nationen gefordert und den USA Bruch des Völkerrechts vorgeworfen. Weit verbreitet war die Forderung, die UN-Vollversammlung solle das Vorgehen der Angreifer verurteilen. Einige Redner merkten allerdings kritisch an, daß die UNO das Sanktionsregime gegen den Irak durchgesetzt habe.
In einigen Orten drängten sich Vertreter der Regierungsparteien der Friedensbewegung auf. In Fretzdorf sprach auf dem dortigen "11. Osterspaziergang" vor über 6000 Menschen der Vize-Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Hans-Christian Ströbele. Für den geplanten Bombenabwurfplatz, das sogenannte Bombodrom, gebe es "keine militärische Notwendigkeit". Die Übungseinsätze der Luftwaffe seien insgesamt um ein Drittel zurückgegangen. Wenn Bundeskanzler Gerhard Schröder weiterhin "Friedenskanzler" sein wolle, müsse er das "Bombodrom" verhindern.
In Frankfurt am Main nutzte der ehemalige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine die Gelegenheit, scharfe Kritik an den Kahlschlagsplänen der Bundesregierung zu üben. "Eine Rückfahrt ins 19. Jahrhundert ohne Kündigungsschutz und Arbeitnehmerrechte brauchen wir nicht", erklärte der 1999 von allen politischen Ämtern zurückgetretene Exbundesfinanzminister vor über 7 000 Menschen.
Im baden-württembergischen Heidelberg richtete sich die Friedensdemonstration gleichzeitig gegen einen Aufmarsch von knapp hundert Neonazis, die die Kritik an den USA für sich ausnutzen wollten. Rund 2000 Ostermarschierer verhinderten den Neonazi-Aufzug. Daß diese "Morgenluft wittern", sei kein Wunder, meinte Michael Csaszkóczy von der Antifaschistischen Initiative Heidelberg. "Maßgebliche Politiker diskutieren offen darüber, ob es nicht an der Zeit sei, Folter wieder offiziell zu legalisieren. Und all das wird begleitet von einer Rhetorik, die verkündet, (...) daß wir international einen ›deutschen Weg‹ beschreiten müßten und daß Deutschland wieder selbstbewußter in der Weltpolitik aufzutreten habe." Daher müsse die Friedensbewegung unbedingt klarstellen, daß es nicht darum gehen kann, ein deutsches oder europäisches Gegengewicht zu den USA aufzubauen.
junge Welt

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Auch in Fürth fand wieder ein Osternmarsch statt. Er endete später in Nürnberg.

(...) Vergangenes Jahr erst hatte der Ostermarsch nach zwölfjähriger Pause in Fürth seine Wiedergeburt erlebt. Gut 100 Menschen werden es heuer gewesen sein - mehr als doppelt so viele wie jene, die 2002 für den Frieden auf die Straße gingen. Vom Schüler bis zum Rentner einte sie der Wunsch nach einer Welt ohne Krieg und Hass. Mobilisiert hatte sie vor allem der Krieg im Irak.
Mehrere Gruppen ziehen in Fürth an einem Strang. Gemeinsamer Treffpunkt ist der Weltladen in der Königstraße. Jost Gruber von der Deutschen Friedensgesellschaft lobt die gute organisatorische Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft. Gestern war es ein Megafon aus dem Gewerkschaftshaus, mit dem den Ostermarschierern aus der Patsche geholfen wurde. Vor der Illusion, der Krieg sei vorbei, warnte Attac-Sprecher Jürgen Baran mit Blick auf die vielen Krisenherde und sagte: "Das geht immer weiter, so lange einer seine wirtschaftlichen Interessen auf Kosten anderer durchsetzt." Im Windschatten der Weltmächte seien auch deutsche Großkonzerne daran beteiligt, andere Länder auszuplündern.
Für ein friedliches Zusammenleben machte sich Heinrich Häberlein als Leiter des internationalen Schülerprojekts "Vertrauen überwindet Grenzen" stark. Weil die Grenzen in den Köpfen noch lange nicht weg seien, müsse schon in jungen Jahren Vertrauen geschaffen werden. (...)
Fürther Nachrichten, 22.04.2003

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In den Nürnberger Nachrichten (Bericht: SABINE STOLL UND PETER MILLIAN) heißt es über den regionalen Ostermarsch u.a.:

(...) "Ich bin jetzt seit 50 Jahren bei Ostermärschen dabei - erst gegen die Wiederbewaffnung, später gegen den Kalten Krieg und jetzt gegen den Irak-Krieg." Die 80-jährige Lia Heinrich aus Fürth steht, ausgestattet mit Gehwägelchen und Friedensfahne, in der ersten Reihe der Demonstranten vor der Nürnberger Lorenzkirche. Ihr 76-jähriger Lebensgefährte Hermann Kraus begleitet sie seit langem. "Ich war bereits mit 16 Luftwaffenhelfer und danach in der Rüstungsindustrie - ich hab' die Schnauze voll vom Krieg", begründet er sein Engagement.
Viele Demonstranten sind zum fünften, zum zehnten, zum zwanzigsten Mal dabei - der harte Kern der Friedensbewegung, für den es längst zum Ritual geworden ist, an Ostern auf die Straße zu gehen. "Wir sind die, die früher lächelnd als Spinner bezeichnet wurden", sagt der Nürnberger Karl Kolleth (70), Ostermarschierer seit 1984. Doch das Bild ist in diesem Jahr ein anderes. Unter die Altvorderen mischen sich mit regenbogenfarbenen Pace-Fahnen beflaggte Demonstranten, die ihre freien Tage sonst lieber auf der Couch verbringen. "Der Irak-Krieg war der Auslöser. Wenn der nicht wäre, wären wir zu Hause geblieben", geben Rainer (33) und Alexandra Prinz (32) aus Waischenfeld (Kreis Bayreuth) zu, während sie ihr eineinhalb Jahre altes Töchterchen im Kinderwagen vor sich herschieben.
(...) Das Nürnberger "Schülerbündnis gegen den Krieg" unterstützt den Protest. Junge Leute laufen vom Kopernikusplatz mit Plakaten, auf denen Anti-Bush-Parolen stehen, zur Kundgebung an der Lorenzkirche. Es sind diejenigen, die schon bei den Schulstreiks und den Freitagsdemos dabei waren. Diejenigen, die der Friedensbewegung eine Frischzellenkur verpassen. Diejenigen, die Pace-Flaggen auch mal als dekoratives Halstuch verwenden. "Da wird die Lebenslust in die Kritik eingebaut. Das unterscheidet uns von ihnen", sagt Hans-Joachim Patzelt.
"Uns" - das ist das Nürnberger Friedensforum, das unter dem Motto "Angriffskrieg ist ein Verbrechen" zum 22. Nürnberger Ostermarsch aufgerufen hat. Rund 2500 Menschen folgen dem (...)
Ob die Friedensbewegung dauerhaft von der aktuellen Empörung gegen den Irak-Krieg profitiert? "Das, was an Abneigung da ist, wird sich bei einigen verfestigen", ist Patzelt sicher. "Das geht den Menschen nicht verloren, auch wenn sie nicht gleich wieder auf die Straße gehen, wenn wir rufen." (...)
"Wir sind Sozialisten und Gewerkschafter und gegen diesen Krieg, weil er keine Probleme lösen hilft, sondern nur neue schafft", sagt Dogan Ünal vom Türkischen Freundschafts- und Solidaritätsverein in Nürnberg. Er und 50 seiner Landsleute haben sich mit einem riesigen Transparent eingereiht, "weil wir Solidarität im Kampf gegen den Krieg zeigen wollen".
(...) Weniger Elan für musikalische Späße zeigte die 30-köpfige Radlergruppe, die den Demo-Tag bereits in den frühen Morgenstunden vor den Toren des Truppenübungsplatzes in Grafenwöhr begonnen hatte. Der Oberpfälzer Rainer Knoll vom Bündnis umweltbewusster Bürger und der Arzt Helmut Sörgel von der Nürnberger Sektion der "Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs" (IPPNW) waren danach bis zum Nürnberger Flughafen geradelt, um dort vor einer "weiteren Militarisierung der Region und des Flughafens" zu warnen.
Dort wie auch vor der Lorenzkirche wandte sich Sörgels Kollegin Elisabeth Wentzlaff gegen eine Politik, "die erst zerstört, um dann heilen zu wollen". Aber: "So haben wir uns unsere Arbeit nicht vorgestellt." (...)
Riesiger Beifall schließlich für Tatjana Sambale, die Sprecherin des Nürnberger Schülerbündnisses gegen den Irak-Krieg. Erstmals sei auch ihnen, den Jungen, klar geworden, dass die USA für sich das "Recht auf jederzeitige Kriegsführung" in Anspruch nähmen - und dafür durchsichtige Bedrohungsszenarien erfänden. Massenvernichtungswaffen im Irak? "Mal sehen, was der Osterhase in Gestalt von Präsident Bush den Irakern ins Nest gelegt hat", orakelt die Schülerin listig unter lautem Applaus. "Wir werden weitermachen", sagt sie, "und ihr solltet es uns nachmachen."
Nürnberger Nachrichten, 22.04.2003

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In Ulm wurde der Ostermarsch nach langjähriger Pause wiederbelebt. (Den Webmaster freut das besonders, weil er einen seiner ersten Ostermärsche selbst in Ulm mitmachte: 1968!). Ein Bericht aus der Augsburger Allgemeinen (von Saskia Stüven-Kazi):

(...) Zum ersten Ostermarsch nach zwölf Jahren in Ulm hatte das Friedensnetzwerk aufgerufen - und mehr als 500 Demonstranten für den Frieden waren gekommen. Viele von ihnen hatten sich die regenbogenbunten Pace-Fahnen um die Schultern geschlungen oder trugen blaue Luftballons mit der weißen Friedenstaube. "Die Friedensbewegung ist ja kein organisierter Verein mit Mitgliederversammlungen", sagte Markus Kienle, Mitorganisator und Fraktionssprecher der Grünen im Ulmer Gemeinderat, über die lange Pause. Aber jetzt würden die Leute spüren, dass man etwas tun müsse.
(...) Auf ihrem Demonstrationszug durch die Stadt wandten sich die Teilnehmer auch gegen die Diffamierung und Verfolgung von Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern. In seiner Rede wies Markus Kiefer vom Friedensnetzwerk auf das Ulmer Deserteursdenkmal hin, das von der Ulmer Künstlerin Hanna Stütz-Menzel gestaltet und 1989 vor dem Roxy eingeweiht wurde. Auf Beschluss des Gemeinderats musste das Denkmal jedoch wieder abgebaut werden. "Es ist eine Schande, dass es in Ulm, der Heimatstadt von Sophie und Hans Scholl, zwar Raum für viele kriegsverherrlichende Denkmäler gibt, dass aber ein Deserteursdenkmal anscheinend unerwünscht ist", empörte sich Kiefer. (...)
Weitere Stationen auf dem Ostermarsch waren die Kriegerdenkmale Ecke Olgastraße/Frauenstraße und Karlstraße/Stuttgarter Straße, bevor bei der Abschlusskundgebung vor der Wilhelmsburg Friedensluftballons gestartet wurden. Auch der 12-jährige Julian aus Blaustein marschierte, zusammen mit seiner Mutter, tapfer mit. "Wir haben in der Schule viel über den Irak-Krieg geredet, das hier ist meine erste Demonstration", sagt der Schüler.
Auch Christiane Schumacher möchte mit ihrer Teilnahme am Ostermarsch ein Zeichen setzen. Die 50-Jährige hat selbst für vier Jahre in Amerika gelebt und ist 1990 nach Deutschland zurückgekehrt. "Ich fühle mich sehr gespalten, da wir sehr gerne in Amerika gelebt haben, aber wie sich die Gesellschaft unter Bush verändert, ist sehr bedenklich", findet Christiane Schumacher, Mutter von zwei Söhnen. Und der Frieden sei immer ein Grund, zu demonstrieren. "Wenn in Ulm in der letzten Zeit was los war, sind wir immer mit dabei gewesen." Toll finde sie vor allem, dass sich so viele Schüler engagiert hätten. "Früher waren mir die Ostermärsche zu radikal", erzählt sie und lacht, "heute sehe ich das anders". Als eine "Mordssauerei" empfindet die 24-jährige Daniela aus Ulm den Irak-Krieg. Deshalb sei sie auch zum ersten Mal beim Ostermarsch dabei. "Man muss schließlich auch persönlich was für den Frieden tun", meint ihre Freundin Sonja.
Augsburger Allgemeine, 22.04.2003

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In der Baden-Württembergischen Landeshauptstadt kamen mehrere Tausend zusammen. Ein Bericht der Stuttgarter Nachrichten (Auszüge):

(...) Ein Bandwurm aus tausenden Kriegsgegnern setzt sich in Bewegung. Die regenbogenbunten Pace-Fahnen stehen hoch im Kurs, die Friedenstaube flattert im frischen Wind. Auf Transparenten wird der "imperialistische Krieg" gegeißelt, aber auch Kritik an den Reformplänen der Bundesregierung und an Auslandseinsätzen der Bundeswehr wird geübt: "Den Sozialstaat hier verteidigen - nicht am Hindukusch."
"Wir hier gehören zu den Gewinnern - die Friedensbewegung ist gewachsen und weltweit vernetzt", freut sich Dieter Lachenmayer, Sprecher des Friedensnetzes Baden-Württemberg. Einerseits hat er Recht - im bunten Zug der Demonstranten sind wieder mehr Normalbürger zu sehen, die nicht für eine Organisation, sondern nur für ihre Überzeugung auf die Straße gehen. Andererseits ist die größte Welle der Empörung schon wieder abgeebbt. Nach Polizeiangaben sind 2500 Menschen unterwegs. Kaum mehr wie in den Vorjahren (...)
(...) "Ein schneller Sieg macht aus einem falschen Krieg keinen richtigen", betonte der DGB-Landesvorsitzende Rainer Bliesener. "Er war und bleibt ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg." Bliesener kritisierte die USA scharf und warf ihnen Kolonialismus vor: "An die Stelle des Rechts haben sie die Macht des Stärkeren gesetzt." Die Frage sei: "Wer wird der Nächste sein im Kampf gegen das von Bush beschworene Böse?" Die Bundesregierung forderte er auf, keine Zahlungen zum Wiederaufbau zu leisten. (...) Jürgen Grässlin, Bundessprecher der deutschen Friedensgesellschaft, kritisierte deutsche Waffenlieferungen und forderte ein Eintreten für weltweite Abrüstung: "Wir lassen uns unsere Hoffnung auf Frieden nicht nehmen."
Stuttgarter Nachrichten, 22.04.2003

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Ein Novum: In Konstanz stand die Osterkundgebung unter der Schirmherrschaft der Stadt Das St. Galler Tagblatt aus der Schweiz berichtete vom grenzüberschreitenden Bodensee-Ostermarsch u.a.:

(...) Der Ostermarsch hatte getrennt in Konstanz und Kreuzlingen begonnen. An der Grenze schlossen sich die rund 200 Demonstranten aus der Schweiz den 800 aus Deutschland und Österreich an. Angeführt von Samba-Trommlern marschierten die Protestierenden gemeinsam durch die Konstanzer Innenstadt. Viele der Ostermarschierer trugen die als Protestzeichen gegen den IrakKrieg bekannt gewordene regenbogenfarbene italienische Friedens-Fahne mit sich. Auf Plakaten der Ostermarschierer hiess es: "Stoppt den Kriegsmaterialexport", "Wir wollen uns nicht an Krieg gewöhnen" oder "Geldgier zerstört unsere Welt". In den Zug der Demonstranten hatten sich auch viele Familien mit Kindern eingereiht.
(...) Bei der Schlusskundgebung im Konstanzer Stadtgarten sprachen sich verschiedene Redner scharf gegen Krieg als Mittel der Politik aus. Sie verurteilten das militärische Vorgehen der USA im Irak und forderten ein Ende des Ausbeutungskriegs der reichen gegen die armen Staaten. Zum Auftakt der Kundgebung wurde eine Grussbotschaft von Oberbürgermeister Horst Frank verlesen, Schirmherr der Demonstration. Sabine Mandak, Nationalratsabgeordnete der Grünen in Österreich, nannte die amerikanische Idee vom Präventivkrieg - zuschlagen, bevor es möglicherweise ein anderer tut - einen "Wahnsinn", der die Spirale der Gewalt weiter hochschrauben werde. (...)
"Wer Krieg sät, wird nicht Frieden ernten", warnte Beat Dietschy von der Ökumenischen Arbeitsstelle in St. Gallen. Auch er kritisierte die Amerikaner, die sich das Recht auf einen Präventivschlag herausnähmen. Dietschy forderte unter anderem ein Verbot, Waffen an Krieg führende Länder auszuführen. Der Politikwissenschaftler Tobias Pflüger kritisierte das Verhalten der Deutschen Regierung, die diplomatisch den Krieg gegen den Irak abgelehnt, ihn aber dennoch durch Einräumen von Transportmöglichkeiten über die Bundesrepublik begünstigt habe. Der Mitarbeiter der "Informationsstelle Militarisierung" in Tübingen warnte vor neuen Bundeswehrkonzepten, die ebenfalls auf der Idee vom Präventivkrieg beruhten. Die Kundgebung mündete in ein Open-Air-Konzert mit verschiedenen Gruppen.
St. Galler Tagblatt, 22.04.2003
Und als Dreingabe teilte die Zeitung noch folgendes unter dem Stichwort "Ostermarsch" mit:

Zum Ostermarsch aufgerufen hatten 50 Organisationen der Friedensbewegung, von Gewerkschaften, Parteien und der Kirche aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Kundgebung stand unter der Schirmherrschaft der Stadt Konstanz. Statt der angekündigten mindestens 1000 Teilnehmer aus der Ostschweiz waren es lediglich 200. (red.)

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Vom "Schwäbischen Meer" an die Wasserkante im Norden der Republik. In Hamburg sollen es nur 2.000 gewesen sein, sagt das Hamburger Abendblatt. Die Veranstalter sprachen von 8.000! Aber hier soll nur die Presse zitiert werden:

Rund 2000 Menschen haben gestern in Hamburg beim traditionellen Ostermarsch für Frieden und gegen den Krieg im Irak demonstriert. Die Teilnehmer zogen mit Fahnen in Regenbogenfarben und der Aufschrift Pace (Frieden) sowie Spruchbändern gegen den Irak-Krieg durch die Innenstadt. Kundgebungsredner verurteilten den Angriff der USA auf den Irak als völkerrechtswidrig. Organisator des Ostermarsches war das "Hamburger Forum für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung".
Hamburger Abendblatt, 22.04.2003

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Vom Norden wieder in den äußersten Südosten, den Chiemgau:

Traunstein. Die Konsequenzen aus dem Irak-Krieg standen im Fokus des Traunsteiner Ostermarsches, zu dem am Karsamstag trotz Regens rund 180 Menschen zusammenkamen. Sie bewegte vor allem die Sorge, dass sich als Antwort auf die aggressive US-Außenpolitik ein weltweites Wettrüsten anbahnen könnte. Ein ungewöhnlich breites Bündnis unterstützte heuer den Aufruf der Friedensinitative: DGB-Kreisverband und Einzelgewerkschaften, die Grünen, die Jusos, die PDS, Eine-Welt-Läden, die Evangelische Kirche, die Berchtesgadener Initiative für Frieden und Menschenrechte, die Verfolgten des Naziregimes (VVN) sowie die neuen Regionalgruppen von Greenpeace und attac.Der Krieg im Irak habe viele zivile Opfer gefordert und sei ein "schwerer Rückschlag für das Völkerrecht", so Will Geistanger von den Grünen. Auch der Kriegsverlauf rechtfertige den Militärschlag im Nachhinein nicht. "Es wäre außerdem falsch und verhängnisvoll, daraus eine Legitimation für eine Drohkulisse gegen Syrien oder andere Länder abzuleiten." Die weltweit friedvollen Proteste seien eine Aufforderung, eine friedliche Weltordnung unter dem Dach der Vereinten Nationen zu gestalten Über 15 Millionen Menschen, davon viele hunderttausende allein in Deutschland, waren vor und während des Krieges für Frieden auf die Straße gegangen, erinnerte Dennis Holl von attac. Diese Menschen würden ein wachsendes Gegengewicht bilden zum Diktat der wirtschaftlich und militärisch Mächtigen. "Sie haben damit unmißverständlich eine gemeinsame Haltung zum Ausdruck gebracht: Kein Mann, keine Frau, keinen Cent für den Krieg! Die Welt ist keine Ware! Eine andere Welt ist möglich!" Voraussetzung für weltweiten Frieden sei jedoch, dass dem neoliberalen Handel Einhalt geboten würde, der im Zuge der Globalisierung die Kluft zwischen Armen und Reichen immer tiefer grabe.Wer für Frieden eintrete, der müsse vor allem auch gegen einen neuen "WettrüstungsWahnsinn" protestieren. Das betonten mehrere Redner. "Wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass sich eine weltweite Aufrüstung anzubahnen droht", so Juso-Kreisvorsitzender Stefan Jagel. Alle friedensbewegten Kräfte müßten dagegen entschieden eintreten. Auch Philipp Schilcher von der Berchtesgadener Initiative für Frieden sah mit Besorgnis, dass die EU versuche, durch massive Aufrüstungsprogramme und Auslandseinsätze mit den USA zu konkurrieren. Europa dürfe aus dem "rücksichtslosen Vorgehen" der USA im Irakkrieg nicht die Konsequenz ziehen, noch mehr Mittel für Militarisierung auszugeben, um international an Einfluss zu gewinnen, meinte auch Gerhard Lechner, der für die Friedensinitiative und für attac sprach. Denn dies wäre nur ein weiterer wirtschaftlicher Erfolg für die US-Rüstungsindustrie. Ein Wettrüsten Europas mit den USA sei aussichtslos und nur dazu angetan, unsere Volkswirtschaft zu ruinieren und den Sozialabbau zu beschleunigen.Bis 2015 habe die Bundesregierung mehr als 100 Milliarden Euro für Kampf- und Transportflugzeuge, Hubschrauber und Kriegsschiffe eingeplant. "Es darf nicht sein, dass jeder Euro zum Beispiel für Kindergärten und Schulen fünfmal umgedreht wird, im Gegenzug für Rüstungsprojekte aber großzügig Milliardenbeträge bereit gestellt werden." Den Sozialabbau in Deutschland nahm auch DGB-Kreisvorsitzenden Helmut Haigermoser ins Visier. Als Reform getarnt, stelle er eine ernste Bedrohung für den sozialen Frieden im Land dar.
(...) Das ökumenische Friedensgebet erteilte allen Kriegen eine Absage. Karsamstag sei der Tag der Erwartung von Gottes Frieden, führte der evangelische Pfarrer Wuck Linhardt vor Augen. Das bedeute aber nicht, passiv zu sein: "Es bedeutet beten und bitten um Frieden, und sich solidarisieren mit allen, die für den Frieden eintreten". Pfarrer Sebastian Heindl und Barbara Pache-Markus verlasen die Seligpreisungen aus der Bergpredigt. In ihnen stellt sich Jesus eindeutig auf die Seite der Opfer von Gewalt und Krieg und verheißt denjenigen das Himmelreich, die nach Gerechtigkeit hungert und die Frieden stiften. "Wohlgemerkt: Er verheißt das Himmelreich, den Frieden, der hier auf Erden stattfinden soll, nicht irgendwo im Jenseits", so Stadtpfarrer Heindl. (...)
Trostberger Tagblatt/Traunreuter Anzeiger, 22.04.2003

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Und auch von kleineren Aktionen soll die Rede sein. In Springe gab es erstmals einen Ostermarsch - und einen sehr einfühlsamen Artikel:

Mit knapp 75 Teilnehmern ist der Springer Ostermarsch hinter den Erwartungen der Veranstalter zurückgeblieben. Am Ostersonnabend marschierte die Friedensinitiative zusammen mit den angeschlossenen Aktionsgruppen nach einer Kundgebung auf dem Marktplatz zur St.-Petrus-Gemeinde am Kurzen Ging.
Im Namen des "Bündnisses für Frieden und Bewahrung der Umwelt" erinnerte Ulla Mügge einleitend an die Freitagsdemonstrationen, zu denen die Gruppe in den vergangenen neun Wochen eingeladen habe. Daraufhin habe man sich entschlossen, einen eigenen Springer Ostermarsch zu veranstalten. Pastor Klaus Fröhlich hob die Ohnmacht gegenüber den Mächtigen in den Mittelpunkt seiner Ansprache. Während für die Weltgeschichte ein Ostermarsch wie der in Springe "nur ein Flüsterton" sei, habe er für andere Menschen einen spürbar höheren Wert. "Wir pendeln im Augenblick zwischen der Ohnmacht und unserer Entschlossenheit, etwas zu sagen", charakterisierte Fröhlich die Stimmungslage der Ostermarschierer. Fröhlich weiter: Die österliche Botschaft zeige, dass es allein die Kraft der Liebe sei, die uns überwältigen könne. Auch wenn nach dem 11. September offensichtlich Krieg und Hass "wieder salonfähig" geworden seien. Der stellvertretende Regionsvorsitzende der Gewerkschaft ver.di, Ralf Oberheide, wandte sich scharf gegen den Irak-Krieg. "Dieser Krieg wendet sich gegen alles, was Zivilisation ausmacht", so Oberheide. Es könne "nicht angehen", dass Krieg die Sache eines Präsidenten sei, der einen persönlichen Rachefeldzug inszeniere. Aus Sicht der Arbeiterbewegung müsse vor allem nach den Ursachen des Krieges gefragt werden. Oberheide sprach sich für die weltweite Durchsetzung der Menschenrechte und den globalen Kampf gegen Elend und Armut aus. Dabei müsse die Rolle der UN gestärkt werden - keinesfalls dürfe, wie im Irak-Krieg, das Recht des Stärkeren oder gar internationales Faustrecht gelten. (...) "Unser Misserfolg macht uns nicht zu Narren und veranlasst uns auch nicht zu Resignation", erklärte Ratsfrau Rosemarie Vollers. Das Volk im Irak habe für seine Befreiung einen Preis bezahlen müssen, den ihm die Befreier aufgezwungen hätten. "Denken wir an die toten Kinder", so Vollers, "deren einziger Fehler es war, dort zu sein, wo der Krieg war." Unter der großen Regenbogenfahne mit dem Schriftzug "Pace" ("Frieden"), den roten ver.di-Bannern und einer überdimensionalen Friedenstaube auf blauem Grund setzte sich dann der Zug der Springer Ostermarschierer in Gang. Friedensdemonstrationen müssen nicht spektakulär sein. Auf die Haltung kommt es eben an.
Neue Deister-Zeitung, 22.04.2003

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Der Ostermarsch in der "Freien Heide" hat immer eine ganz besondere Bedeutung. Ein Bericht aus dem Neuen Deutschland:

(...) Die Fretzdorfer haben Erfahrungen mit Massenveranstaltungen. Am Ortseingang dirigieren Schilder die auswärtigen Pkw auf die richtige Wiese. Tausende Luftballons können im kleinen Gemeindeamt abgeholt werden, und am Zaun vor der Fachwerkkirche warten Protest-Transparente auf ihren jährlichen Einsatz. Tausende kamen schon in den vergangenen Jahren in den kleinen Flecken im nördlichen Brandenburger Landkreis Ostprignitz-Ruppin, um gegen den dort geplanten "Luft-Boden-Übungsplatz" der Bundeswehr zu protestieren. In diesem Jahr ist der Zug vom Dorfplatz zum Schieß-Gelände noch länger als sonst. Christen, Antimilitaristen, Pazifisten, Guevaristen und Anwohner, Besorgte, Erzürnte, Verschrobene - die Vielseitigkeit ist ihre Stärke. Grund für das besondere Interesse am 11.Fretzdofer Ostermarsch gegen das "Bombodrom" in der Kyritz-Ruppiner Heide ist nicht nur der Angriff auf Irak, der aller Welt gerade einen modernen Luft-Boden-Krieg praktisch vorführte. Furore machte auch die Ankündigung des Verteidigungsministeriums, ab kommendem Sommer auf dem ehemaligen Übungsgelände der Roten Armee tatsächlich mit Bomben, Luft-Boden-Raketen und Bordgeschützen von Jagdflugzeugen zu trainieren.
Seit über einem Jahrzehnt wehrt sich die Bürgerinitiative "Freie Heide" gegen die Bomber. Rechtlich ist der Widerstand inzwischen allerdings am Ende. Nach einigem hin und her entschieden die Verwaltungsrichter: Die Bundeswehr darf das Gelände militärisch nutzen - obwohl sich ein von der Brandenburgischen Landesregierung durchgeführtes Anhörungsverfahren klar gegen Tornados und Eurofighter aussprach. Es kommt jetzt also auf den politischen Willen an. Dass die Auseinandersetzung um die weitere Nutzung des Geländes in eine entscheidende Phase tritt, hatten auch die wenigen Befürworter des Truppenübungsplatzes in der Region erkannt. Sie wollten den Ostermarsch in diesem Jahr mit ihren Argumenten eindecken - passender Weise gleich aus der Luft. Doch das Abwerfen von Flugblättern aus einem Kleinflugzeug wurde der Wittstocker Initiative "Pro Bundeswehr" von den zuständigen Behörden untersagt. Und in die Nahdistanz trauen sich die Luft-Boden-Freunde dann doch nicht.
So bleiben die Friedensdemonstranten unter sich an diesem frühlingshaften Ostersonntag. Sie versammeln sich auf einem sonnigen Stück Heide an der Schießplatzgrenze. Von einer kleinen Bühne werden sie beschallt - mit den Brandenburgischen Konzerten, mit Bob Dylan und Pink Floyd. Vom "Heidepostamt" aus schreiben sie ans Bundeskanzleramt und den Verteidigungsminister. Jetzt steigen die Luftballons auf. Viertausend gefaltete Kraniche tragen sie in den Brandenburger Himmel - ein japanisches Friedenssymbol. Andere Marschierer machen schon mal Ernst mit der friedlichen Nutzung. Sie lassen sich nieder, genießen die Sonne und lassen die Kinder laufen.
Sieht so eine "Bewegung" aus? Ost-Ikone Wolfgang Ullmann beschwört eine "internationale Bewegung für die UN-Charta und das internationale Recht". Es drohe ein neuer "Imperialismus". (...) Ströbele spricht nur noch im "Wir". Erneut nennt er den Irak-Krieg völkerrechtswidrig und verlangt nach Konsequenzen. Den Übungsplatz brauche die Bundeswehr gar nicht, meint er. Es sei denn, man wolle auch anderen NATO-Staaten das übungsweise Bombardieren der Kyritz-Ruppiner Heide gestatten.
Als PDS-Vertreter tritt Wolfgang Methling auf. Der Umweltminister von Mecklenburg-Vorpommern fordert "Frieden statt Besatzung" in Irak. Er warnt davor, auf die Alleingangs-Politik der USA mit dem Aufbau einer "alternativen" Militärmacht Europa antworten zu wollen. Der Übungsplatz sei aber auch wirtschaftlich "giftig" für den Nordosten der Republik. Methling sorgt sich um die in seinem Land gelegene Tourismusregion Müritz, die in der künftigen Anflugschneise liegt.
(...) Vor Ort scheint die bedrohliche Lage indessen kaum auf die Stimmung zu schlagen. "Wir haben einen langen Atem", sagt Benedikt Schirge von der Bürgerinitiative. Am 1. Mai ist eine Bootskundgebung im mecklenburgischen Mirow geplant. Es geht also weiter. Und so lange der Humor nicht verloren geht, bleibt die "Bewegung" zumindest in und um Fretzdorf lebendig: "Volker hörte die Signale, Rudi ging Baden, und über Peter reden wir später!", hat einer auf ein Stück Leinwand gepinselt.
ND, 22.04.2003

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Wir bleiben in Ostdeutschland. Nächste Station ist Weimar:

"Danke, dass Sie aufgestanden sind gegen den späten und fremden Spuk", sagte OB Volkhardt Germer gegen zwölf vor einigen hundert Zuhörern beim Friedensfest im Weimarhallenpark. Claudia Scheibe (Bürger gegen Rechts) ergänzte wenig später: "Das gescheiterte NPD-Verbot ist ein Fiasko, wir stehen erst am Anfang eines zivilisatorischen Prozesses."
Ein buntes Treiben mit bis zu 500 Weimarern im Park: Stände von Parteien und Friedensgruppen, ein Flohmarkt, Hüpfburg, Musik - auch eine gut besuchte Ausstellung "Jüdische Wohn- und Geschäftshäuser früher und heute". Spektakulär eine nordrhein-westfälische Aktion: Blaue Farbe aus zehn kleinen Eimern klebte im Lauf des Nachmittags an unzähligen Händen, für OB Germer "ein Symbol für die Andersartigkeit".
Ostern sei halt ein wichtiges Familienfest, "wir hätten uns schon mehr Leute gewünscht", sagte gestern ein etwas enttäuschter Fritz Burschel, Versammlungsleiter der "Bürger gegen Rechts". Bereits während des Festes hatte er seinem Ärger gegen das Ordnungsamt Luft gemacht, das verfügt habe: Die Aktionen Blaue Hand und Soundsystem ohne Leute durch die Stadt! Erschüttert sei er, wie wenige Teilnehmer das angekündigte Ostermarsch-Finale hatte. "Wo sich doch der Rauch im Irak nicht mal verzogen hat."
Immerhin freute sich Burschel über die schöne Stimmung, "die Leute waren gelassen, ruhig und entspannt". Und doch sei es möglicherweise ein Fehler gewesen, sich im Park zu isolieren. Bei einem nächsten Mal müsse man mindestens auf dem Goetheplatz und damit zu sehen sein. Er sei dankbar für die spontane Demonstration der Jenaer auf der Fuldaer Straße, mit der die "eigene Isolation aufgebrochen" worden sei. Landesspiegel
Thüringer Landeszeitung, 22.04.2003

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Und in der Hauptstadt Berlin ging es - wenn man der taz (Bericht: Lucia Jay) glauben darf - ungefähr so zu:

"Mutig" findet die etwa fünfzigjährige Friedensmarschiererin die Entscheidung der Organisatoren, vom Platz der Vereinten Nationen aus zu starten. Mit ihrem Regenbogen-Fahrrad liegt sie voll im Trend. "Hier werden wohl kaum Anwohner dazustossen." Bekümmert blickt sie in die Platten-Landschaft, die sie umgibt und rollt ihre Pace-Fahne aus. Und richtig voll will es auch nicht werden auf dem Platz, der eigentlich keiner ist, sondern vielmehr eine Kreuzung mit ein bisschen Wiese an den Seiten der beiden sechsspurigen Straßen.
Der Startpunkt des Berliner Ostermarsches birgt jedoch hohen symbolischen Wert. Er soll, so die Veranstalter der Friedenskoordination Berlin, die Bedeutung der Vereinten Nationen festigen. Der Theologe Wilibald Jacob schlägt in seiner Rede vor, dem früheren Leninplatz besser seinen alten Namen zurückzugeben: "Imperialismus als höchste Stufe des Kapitalismus ist immer noch höchst aktuell." Dass der Platz bedeutungsträchtig ist, zeigt auch eine Aktion der Globalisierungskritiker von "Attac". Sie überkleben ein Straßenschild und nennen den Platz kurzerhand von "Vereinte Nationen" in "Verarschte Nationen" um.
(...) Ungefähr 2.000 Teilnehmer zählt die Polizei später. "Wenn es sehr gut wird, dann werden wir 5.000, aber ich glaube es nicht", meint Jürgen Horn, als der Zug die Jannowitzbrücke überquert. (...)
(...) Die Schüler sind leicht ausfindig zu machen in dem Zug. Viele sind es nicht. Vielleicht weil Ferien sind. "Mich macht es schon sauer, aber es war ja zu erwarten, dass kaum noch Leute auf die Straße gehen." Jule Arndt vom Herder-Gymnasium gibt aber nicht auf, sondern will sich mit der Gruppe der Herausforderung stellen: "Wir müssen eben die Leute darauf stoßen, dass es weitergeht. Man kann ja nicht bei jedem Krieg von vorne anfangen."
taz Berlin lokal, 22.04.2003

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Stephan Loichinger berichtete in der Frankfurter Rundschau (Hessen/Frankfurter Teil) über eine der größten Ostermarsch-Kundgebungen dieses Jahres:

8000 Menschen haben am Montag nach Angaben der Veranstalter beim traditionellen Ostermarsch vor dem Römer für Frieden demonstriert. Das Ostermarschbüro freute sich über die Resonanz, nachdem zuletzt die Zahl der Teilnehmer Jahr für Jahr stetig abgenommen hatte. (...)
Junge wie Alte, Schüler wie Alt-Linke sammelten sich unter strahlender Sonne und wehenden "Pace"-Fahnen in Regenbogenfarben. Auf Plakaten standen die gleichen Parolen wie schon bei den Demonstrationen gegen den Irak-Krieg: "Krieg ist keine Lösung", "Kein Blut für Öl", "U$A = Weltfeind". (...)
Anne Rieger vom gewerkschaftlichen Netzwerk gegen den Krieg nannte den Irak-Krieg die "Hinrichtung eines arabischen Landes". Sie warf der US-Regierung von Präsident George W. Bush vor, zum Vorteil der heimischen Energie-Industrie Irak angegriffen zu haben und zu besetzen - ohne Rücksicht auf Menschenleben: "Der Weg zum Öl war gepflastert von Schrapnellscherben, die sich irakischen Kindern ins Fleisch gruben." Rieger plädierte für den Kampf für "eine Welt, in der der Mensch vor Profit geht".
Ähnlich äußerte sich Oskar Lafontaine, dessen halbstündige Rede die Menge mit reichlich Beifall quittierte. Er sagte: "Es wird immer wieder Rückschläge geben, aber wir dürfen nicht aufgeben, weiter für Frieden und Gerechtigkeit zu kämpfen." Der frühere SPD-Vorsitzende und Finanzminister nannte "soziale Gerechtigkeit" die entscheidende Bedingung für Frieden. Es sei "der Irrtum aller Konservativen", Frieden durch Machtdemonstration erreichen zu wollen.
Für alle müsse das gleiche Recht gelten, "alle müssen mit der gleichen Elle gemessen werden", sagte Lafontaine. Die Bush-Administration handle nach dem Recht des Stärkeren und "setzt damit die ganze Welt in Brand". (...)
Dass die Bundesregierung sich gegen den Irak-Krieg stellte, lobte Lafontaine, auch wenn sie Überflugsrechte nicht hätte gewähren dürfen. (...) Die Polizei sprach von 2500 Demonstranten. Etwa die Hälfte waren in einem Sternmarsch aus vier Richtungen zum Römer gezogen. Willi van Ooyen vom Ostermarschbüro freute sich: "So bunt und voll war der Römerberg lange nicht mehr."
Frankfurter Rundschau, 22.04.2003

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Von Südhessen nach Nordhessen: Zufriedene Mienen gab es auch in Kassel, wo einer der größten Ostermärsche seit den 80er Jahren stattfand. Die Hessisch-Niedersächsische Allgemeine berichtete und gab dabei eine etwas abstruse Erklärung für die Vorliebe der Friedensbewegung für die italienische "Pace"-Regenbogenfahnen.

So viele Ostermarschierer waren in Kassel seit mehr als 20 Jahren nicht mehr unterwegs. 2000 Menschen beteiligten sich gestern am traditionellen Ostermarsch, zu dem das Kasseler Friedensforum aufgerufen hatte. Im vergangenen Jahr waren es nur halb so viele. "Die Zeit scheint vorbei zu sein, in der man jeden Teilnehmer mit Handschlag begrüßen konnte", stellte Dr. Peter Strutynski, Leiter des Friedensforums, fest. Mit gemischten Gefühlen, wie er bekannte.
Denn für den enormen Zulauf hat der Irak-Krieg gesorgt. Er war auch das beherrschende Thema der Veranstaltung. (...) Viele schwenkten die regenbogenbunten Fahnen mit der Aufschrift "Pace" (Frieden). Das englische Peace ist in diesem Jahr verpönt.
(...) Mit dabei waren Gewerkschaften, politische Parteien, christliche und andere Initiativen, Globalisierungsgegner - und viele junge Leute. Hannah Eberle und Lina Honens zum Beispiel, die auch an der großen Schülerdemo gegen den Krieg teilgenommen hatten und sich nun im Anti-Kriegskomitee engagieren.
Seit dem Kriegsausbruch im Irak ist Politik für die 15-jährigen Reformschülerinnen ein wichtiges Thema. "Man merkt, dass man Widerstand leisten muss", sagt Lina. Ob sich die Mächtigen dieser Welt davon beeindrucken lassen? Von Großdemonstrationen schon, meint sie."Und außerdem: Es ist wichtig, dass man zeigt, wo man steht. (...)
Olmi Klapper ist zwar nur zwei Jahre älter als die beiden, aber beim Ostermarsch schon ein alter Hase. "Meine Eltern haben mich schon mit dem Kinderwagen zum Ostermarsch geschoben", sagt er. (...)
Diesmal scheint alles anders. Nicht nur in Kassel. Noch nie hätten weltweit so viele Menschen gegen einen Krieg protestiert, sagt Rolf Wekeck, Mitorganisator des Ostermarsches in seiner Rede beim Zwischenstopp am Mahnmal für die Opfer des Faschismus am Weinberg. Wekeck ging auf die Situation der Kinder ein. Deren Leiden habe schon lange vor dem Krieg begonnen. Das Wirtschaftsembargo, das vor zwölf Jahren gegen den Irak verhängt wurde, habe zu einer humanitären Katastrophe geführt. Seit 1991 seien laut Unicef mehr als 550 000 Kinder an den Folgen von Mangelernährung und schlechter medizinischer Versorgung gestorben.
Bei der Abschlusskundgebung vor dem Rathaus forderte die junge Lotta Auerswald aus Kaufungen die Vernichtung aller Massenvernichtungswaffen weltweit. Sabine Leidig aus Frankfurt, Bundesgeschäftsführerin der Globalisierungsgegner-Organisation Attac, mahnte: "Es ist noch nicht Vorbei." Leidig verurteilte den Irak-Krieg als eine völkerrechtswidrige Aktion, ein Verbrechen. Sie hoffe, dass sich Bush und Blair sowie Generäle eines Tages vor dem internationalen Gerichtshof zu verantworten hätten. (...)
HNA, 22.04.2003

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Und zum Schluss noch ein Blick ins Ruhrgebiet:

Der Ostermarsch Rhein/Ruhr stand in diesem Jahr unter dem Motto "Völkerrecht statt Bomben - Kein Blut für Öl!"
"Bei den letzten Ostermärschen waren 800 bis 1000 Friedensfreunde unterwegs. Wir schätzen, dass wir bei der diesjährigen Abschlussveranstaltung die doppelte Teilnehmerzahl erreichen", so Helmut Manz vom Dortmunder Friedensforum. Zum ersten Mal war das Depot an der Immermannstraße Endpunkt des Marsches.
Die Große Halle des Depots bot eine ansprechende Kulisse für die Musiker, Tänzer und Redner der Abschlussparty. Kunterbunt und multikulturell präsentierten sich die Kriegsgegner. Willi Hoffmeister, Mitorganisator und -marschierer, freute sich über die große Resonanz und die tolle Stimmung im Zug: "Die Friedensbewegung lebt." Aber er warnte auch: "Der Irak-Krieg ist längst nicht das Ende. Während des Marsches war die Angst der Menschen vor Folgekriegen spürbar." (...)
Westdeutsche Allgemeine WAZ, 22.04.2003


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