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"Durch unsere Bombardierung haben wir die Infrastruktur des Iraks bewusst zerstört"

Rede von Bischof Dr. Thomas J. Gumbleton, Detroit (pax christi USA) auf der Protestkundgebung anlässlich des Bush-Besuchs in Stralsund

Am 13. Juli 2006 besuchte der US-Präsident George Bush auf Einladung der deutschen Bundeskanzlerin Stralsund. Die Friedensbewegung begleitete das Ereignis mit einer eigenen Kundgebung. Einer der Redner war Bischof Dr. Thomas J. Gumbleton (pax christi) aus Detroit (USA).



Im März 1991, ein paar Wochen nach Beendigung des ersten Golfkriegs, schickte Papst Johannes Paul der II ein Dokument an die gesamte Kirche, das 100 Jahre moderner katholischer Soziallehre markierte und feierte. Darin gibt es eine spezielle Deklaration zum Krieg: "Ich selber habe angesichts des jüngsten tragischen Golfkriegs die Forderung wiederholt "Nie wieder Krieg - nein, nie wieder Krieg!". Er wiederholte damit einen Ruf von Papst Paul dem VI vor den Vereinten Nationen aus dem Jahr 1965. Paul der VI hatte vor den Vertretern aller Nationen der Welt gefordert "Nie wieder Krieg - nein, nie wieder Krieg!"

Wenn wir den momentanen Krieg im Irak moralisch werten wollen, dienen uns die Worte von Paul dem VI und Papst Johannes Paul dem II als optimale Anleitung. Johannes Paul der II erläuterte die Worte und lieferte uns damit eine Begründung für seinen Ruf.

"Nie wieder Krieg, der das Leben unschuldiger Menschen zerstört, das Töten lehrt und auch das Leben derer, die töten, zerstört und eine Spur von Hass und Groll hinter sich zieht, so dass es immer schwieriger wird, eine gerechte Lösung für die eigentlichen Ursachen des Krieges zu finden."

Das trifft auf jeden Krieg zu! Und es trifft mit Sicherheit auf den jetzigen Irakkrieg zu. Seit 1991, dem Beginn des ersten persischen Golfkrieges, nach 12 1/2 Jahren kontinuierlicher Sanktionen und nun dem zweiten persischen Golfkrieg, haben wir das Leben unzähliger unschuldiger Menschen zerstört.

In der ersten Phase dieses langen Krieges haben wir den Irak sechs Wochen lang bombardiert - 42 Tage und 42 Nächte kontinuierlicher Bombardierung, jede Stunde jedes einzelnen Tages, 24 Stunden am Tag haben wir die Iraker bombardiert. Als ich das erste Mal nach dem Krieg dorthin reiste, erwartete ich vollkommen zerstörte Städte zu sehen. Ich erinnere mich an Bilder, die nach dem zweiten Weltkrieg in Europa aufgenommen wurden, nach den Flächenbombardierungen. Ganze Städte waren Block für Block zerstört worden, es gab nur noch Schutt und Asche. Ich war überrascht, als ich im Irak ankam, dass es dort anders war. Und trotzdem waren die Bombardierungen verantwortlich für den Tod von Hunderttausenden Menschen. Kurz nach dem Krieg im März 1991 schickte die UNO eine Kommission in den Irak, um die durch den Krieg entstandenen Schäden beurteilen zu können. Ein von Herrn Marti Attasarri, UNO-Diplomat aus Finnland, verfasster Bericht sagt folgendes:

"Ich und meine Kommissionsmitglieder kannten die Medienberichte über die Situation im Irak und natürlich auch den Bericht der Weltgesundheitsorganisation über den Zustand des Wassers sowie der sanitären und medizinischen Anlagen in Bagdad und Umgebung. Ich muss sagen, dass nichts, was wir zuvor gesehen oder gehört hatten uns auf diese Form der Zerstörung vorbereitet hatte.

Der jüngste Konflikt hatte schreckliche Auswirkungen auf die wirtschaftliche Infrastruktur dieser Gesellschaft, die bis Januar 1991 hoch technologisiert gewesen war. Inzwischen sind die meisten Grundlagen des modernen Lebens zerstört und unbrauchbar gemacht worden. Der Irak wurde für viele Jahre in ein vorindustrielles Zeitalter zurückgeworfen, trotzdem bestehen Abhängigkeiten in der Nutzung von Energie und Technologie wie in einem postindustriellen Staat."


Durch unsere Bombardierung haben wir die Infrastruktur des Iraks bewusst zerstört: Die Anlagen zur Abwasserentsorgung, die Wasserreinigungssysteme, das Stromnetz, das Transportsystem, das Kommunikationssystem. Ohne diese wichtigen Systeme konnten die Iraker nicht überleben, ohne dass extreme gesundheitliche Probleme auftraten. Krankenhäuser verfielen. Als die Sanktionen wirkten hatte die Bevölkerung keine Nahrung und keine Medikamente. Menschen begannen zu sterben.

Vor dem Krieg hatte der Nachrichtendienst des Verteidigungsministeriums der USA eine Studie durchgeführt, die vorhersagte, wie viele tausende Menschen innerhalb einiger Jahre sterben würden, wenn wir ihnen sauberes Trinkwasser vorenthalten würden. Wir wussten genau, was wir taten: Wir zerstörten das Leben unschuldiger Menschen! Eine vorsichtige Schätzung der UNO besagt, dass über eineinhalb Millionen Menschen an den Folgen des Krieges und den Sanktionen gestorben sind. Über die Hälfte davon waren Kinder unter fünf Jahren.

Und das Sterben geht weiter. Ein anderer Grund für den Tod unschuldiger Menschen sind die Waffen, die wir benutzt haben. Das US Militär benutzt Raketen und Geschosse, die von einem sehr dichten toxischen, radioaktiven Material umschlossen sind - abgereichertem Uran. Wenn ein Geschoss mit abgereichertem Uran ein Ziel trifft können 70 % des Projektils beim Aufprall verbrennen und somit eine Wolke abgereichter Uranpartikel verteilen. Die toxischen Rückstände einer solchen Explosion verteilen sich dann mit dem Wind und werden vom menschlichen Körper eingeatmet, aufgenommen und wieder abgesondert und auch von Pflanzen und Tieren aufgenommen und absorbiert. Sie werden damit Teil der Nahrungskette. Wenn sich die Stoffe einmal in der Erde befinden, verschmutzen sie die Umwelt und führen zu einem hundertfachen Anstieg des Urananteils im Grundwasser. Das besagt das Umweltprogramm der UNO.

Die Folgen? Seit dem Golfkrieg 1991 sind die Krebserkrankungen überall im Irak um 300 bis 400 Prozent gestiegen. Einige Studien belegen sogar einen noch höheren Anstieg: ein Bericht einer Unterkommission der UNO vom August 2002 besagt "Krebserkrankungen sind nun sieben bis zehn mal so hoch und Tumore und Leukämie bei Kindern unter 15 Jahren haben sich seit 1990 verdreifacht." Kleine Kinder tragen die Hauptlast, denn sie sind besonders verletzbar. Heute sind 56 % der Krebserkrankten im Irak Kinder unter 5 Jahren, 1990 waren es 13 %.

Weil abgereichertes Uran radioaktiv ist, kann es die menschliche DNA-Struktur verändern. Die beschädigte DNA kann an Föten weiter gegeben werden, und somit Fehlgeburten zur Folge haben. Das medizinische Personal musste einen starken Anstieg von schrecklichen Geburtsfehlern beobachten - Organe, die sich außerhalb des Körpers befinden, zusätzliche Gelenke, riesige Schwellungen, Kinder, die ohne Augen geboren werden, ohne Hirnklappen, mit vertauschten Fingern und Zehen... Eine Studie über Kinder in Basra zeigt, dass das Risiko von Geburtsfehlern von 0.3 Prozent 1990 auf 0.8 % 1998 angestiegen war.

Es ist ganz offensichtlich, Krieg zerstört das Leben unschuldiger Menschen. Das ist nicht richtig! Das kann moralisch nicht gerechtfertigt werden. Wir müssen NEIN zum Krieg sagen.

Nun sehen wir uns den zweiten Grund an, aus dem Papst Johannes Paul der II uns auffordert NEIN zum Krieg zu sagen. "Der Krieg zerstört auch das Leben derer, die töten."

Wie passiert das? Die Erfahrungen von Senator John McCain, einem prominenten Politiker und Kriegshelden in den USA, führen uns die Gründe deutlich vor Augen. Senator McCain war ein Marinebomberpilot im Vietnamkrieg. Während seiner 23. Kampfmission wurde er abgeschossen. Er überlebte, brach sich aber beide Arme und ein Bein. Er erlitt viele Schürfwunden, Schnitte und Prellungen. Und er geriet für sechs oder sieben Jahre in Gefangenschaft. Dort ging man hart gegen ihn vor. Kürzlich, als er seine Erfahrungen reflektierte, erklärte er:

"Ich hasste meine Feinde schon bevor sie mich gefangen nahmen, weil der Hass meine Hingabe stärkte, sie komplett zu zerstören und mir half den menschlichen Impuls zu überwinden, voller Abscheu vor dem zurückzuschrecken, was von mir angerichtet wurde."

Hören Sie genau hin was er über sich selbst sagt: Ich musste hassen lernen um töten zu können. Ich hasste sie, bevor sie mich einsperrten. Ich musste lernen zu hassen. Sonst wäre ich als menschliches Wesen voller Abscheu vor dem zurückgeschreckt, was ich tun musste. Man kann nicht töten ohne zu hassen, ohne die Menschen zu entmenschlichen. Aber was passiert, wenn man hasst?

Jede religiöse Tradition lehrt uns, dass wir nach dem Abbild Gottes geschaffen wurden. Menschliche Wesen sind Abbilder Gottes. Aber Gott ist Liebe. Gott ist Güte. Wenn wir menschlich sind, dann deshalb, weil wir lieben und geliebt werden. Wenn wir lernen zu hassen, zerstören wir das, was am menschlichsten an uns ist. Wir zerstören das Abbild Gottes in uns. Dadurch wird unser ganzes Leben zerstört. Und es ist sehr schwer sich davon zu erholen und zu genesen. Wahrscheinlich werden viele, die so hassen und töten, nie wieder genesen.

In der Kirche in Detroit, in der ich als Pastor diene, stellen wir jeden Tag eine Mahlzeit für fast 300 Menschen zur Verfügung. Die meisten von ihnen sind obdachlos. Wenn wir uns mit ihnen unterhalten stellen wir oft fest, dass viele von ihnen Vietnamveteranen sind. Ihr Leben wurde zerstört. Man kann nicht töten ohne selbst schwächer zu werden, sich selbst fast zu zerstören. Das ist ein sehr guter Grund um NEIN zum Krieg zu sagen. Nie wieder Krieg!

Schließlich hinterlässt man, wie Johannes Paul herausstellt, eine Spur von Hass und Groll wenn man in den Krieg zieht, die es umso schwerer macht die eigentlichen Probleme, die den Krieg ausgelöst haben, zu lösen. Das trifft hundertprozentig auf die Golfkriege zu. Die Situation im Nahen Osten ist nun viel unberechenbarer, tückischer und gefährlicher als vor 1990. Ein Leitartikel aus der New York Times macht das deutlich:

Präsident Bush und seine Unterstützer beschuldigen die Nachrichtenmedien regelmäßig, dass sie nur über schlechte Neuigkeiten aus dem Irak berichten und die eher positiven Geschichten herausfiltern. Aber nur wenige Stunden bevor amerikanische Bildschirme voller euphorischer Bilder Präsident Bushs bei seinem Überraschungsbesuch in Bagdad waren, sandte die dortige amerikanische Botschaft ein Telegramm, dass ein viel düsteres Bild der wachsenden Schwierigkeiten, denen die irakischen Angestellten sich stellen müssen, wiedergab.

Das Telegramm, das von der Washington Post abgedruckt wurde, berichtete von Botschaftsangestellten, die täglich einem Spießrutenlauf durch Wächter für religiöse Kleiderordnung sowie Schikane durch miliz-ähnliche Sicherheitsleute ausgesetzt sind - sogar an Kontrollpunkten, die die bewachte Grüne Zone umschließen, in der sich die Botschaft befindet. Wenn die irakischen Angestellten nach Hause kommen begegnen ihnen brodelnde Nachbarschaften ohne regelmäßige Stromzufuhr, ewiglange Schlangen an den Tankstellen sowie Familien, die durch religiöse und ethnische Spannungen und wachsende Zukunftsängste zerrissen sind.

Das Telegramm leitet einen Bericht eines arabischen Herausgebers weiter, der von "ethnischen Säuberungen" in "fast jeder irakischen Provinz" spricht. Die Botschaft selber vermutet, dass schiitische Regierungsbeamte in Bagdad als Antwort auf die Vertreibungen der Araber durch Kurden in anderen Teilen des Landes vorsätzlich kurdische Haushalte vertreiben. Eine weibliche sunnitische Angestellte berichtet, dass "der Großteil ihrer Familie glaubt, dass die USA - die nach allgemeinem Glauben das Land vollkommen kontrollieren und die Missstände tolerieren - die Bevölkerung genauso bestrafen wie es Saddam getan hat."

Das Telegramm ist nur ein grober Schnappschuss täglicher Erfahrungen der Botschaftsangestellten, nicht eine landesweite systematische Untersuchung. Allerdings sind Botschaftsangestellte in vielerlei Hinsicht besser gestellt als die meisten Iraker. Zumindest haben sie Jobs und jemanden, den sie um Hilfe bitten können. Wir können nur erraten wie sich das tägliche Leben in belagerten sunnitischen Städten wie Ramada oder den vom Militär kontrollierten schiitischen Städten der Basra-Gegend anfühlen muss, von denen manche inzwischen zu gefährlich sind, als dass Reporter sich dort regelmäßig blicken ließen."


Wir haben den Irak ins Chaos gestürzt. Die Spur von Hass und Groll wird jeden Tag stärker. Wir müssen zu diesem Krieg und zu jedem Krieg NEIN sagen! Zusammen mit Papst Paul dem VI und Johannes Paul dem II müssen wir verkünden "NIE WIEDER KRIEG! NEIN, NIE WIEDER KRIEG!"

Übersetzung: Sandra Busch, Köln


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