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Bush in Deutschland: "Nicht schon wieder!"

Friedensbewegung beschließt Aktionen zum Bush-Besuch

Am 20. Mai fand in Berlin ein Treffen der Friedensbewegung statt, auf dem über Aktionen beim bevorstehenden Bush-Besuch beraten wurde. Über die Ergebnisse informieren im Folgenden eine Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag sowie ein Interview, das die "junge Welt" mit dem DFG-VK-Sprecher Monty Schädel aus Mecklenburg-Vorpommern führte.



Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag

  • Bahman Nirumand: Iran-Krieg - "Todesstoß gegen die Zivilgesellschaft"
  • Bevölkerung gegen Krieg - "Druck von der Straße" notwendig
  • Motto: "Kriege beenden - Kriegsplanungen stoppen!"
  • Am 14. Juli bundesweite Demo in Stralsund
  • 13. und 15. Juli: Aktionen im ganzen Land
  • Friedensbewegung solidarisch mit Tobias Pflüger (MdEP)
Kassel, 21. Mai 2006 - Rund 60 Vertreterinnen und Vertreter von zahlreichen Friedensorganisationen und globalisierungskritischen Bewegungen haben sich am Wochenende in Berlin getroffen, um über mögliche Aktionen im Zusammenhang mit dem neuerlichen Besuch des US-Präsidenten in Deutschland zu beraten. George W. Bush war von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem Besuch in Washington nach Stralsund eingeladen worden, wohin er voraussichtlich am 14. Juli kommen wird. Am nächsten Tag wird er von Deutschland nach St. Petersburg (Russland) weiter reisen, wo der nächste G8-Gipfel stattfinden wird.

Bei dem Treffen, das im Haus der Bundeszentrale der Gewerkschaft ver.di stattfand, war schnell klar, dass sich die Proteste der Friedensbewegung diesmal vor allem gegen die Kriegsdrohungen gegen den Iran drehen werden. Der Exil-Iraner und Sozialwissenschaftler Bahman Nirumand, selbst ein entschiedener Kritiker des Mullah-Regimes des gegenwärtigen iranischen Präsidenten Ahmadinedschad, ließ in seinem Eröffnungsreferat keinen Zweifel daran, dass ein Krieg gegen den Iran nicht nur ein völkerrechtswidriger Aggressionsakt wäre, sondern auch den reaktionärsten Kräften im Iran in die Hände arbeiten würde. Nicht das Regime, sondern die breite Bevölkerung, die Zivilgesellschaft, wozu er alle demokratischen Kräfte, Frauen und Jugendliche sowie die reformfreudigen Gläubigen im Land zählt, sei der große Verlierer in einem Krieg. Nirumand stellte auch klar, dass sich die US-Administration bei ihren Kriegsplanungen nicht von lauteren Motiven leiten lasse (Angst vor iranischen Atomwaffen, Schutz von Menschenrechten), sondern geostrategische und machtpolitische Ziele verfolgen würde, bei denen die Kontrolle über die Energiereserven der Region genauso wichtig ist wie der "Lückenschluss" auf dem Weg vom Irak über Afghanistan nach Zentralasien. Es sei eine Tragödie, dass sich die Europäische Union und die Bundesregierung diesmal vor den Kriegskarren der USA haben spannen lassen.

Diese "Komplizenschaft" will die Friedensbewegung mit ihrer Kampagne aufbrechen. Ein Krieg gegen Iran sei nur zu verhindern, wenn sich die Europäer Bush eindeutig verweigern würden. Dazu aber müssten sie von der kriegsunwilligen Bevölkerung gezwungen werden - durch "Druck von der Straße", wie der Sprecher des "Friedensratschlags", Peter Strutynski, der zu dem Treffen eingeladen hatte, sagte. Strutynski verwies in dem Zusammenhang auf eine vor kurzem durchgeführte repräsentative Umfrage, wonach 77 Prozent der Deutschen einen Irankrieg rundweg ablehnen. Und selbst von den 18 Prozent, die eine militärische Option als "ultima ratio" in Erwägung ziehen, seien mehr als die Hälfte gegen eine deutsche Beteiligung. Und eine Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr habe sich unlängst darüber Gedanken gemacht, warum die deutsche Bevölkerung in ihrer Grundeinstellung so pazifistisch sei.

Das bundesweite Friedenstreffen wurde sich schließlich darüber einig, dass anlässlich des Bush-Besuchs (eine "Provokation", die uns nicht gleichgültig lässt, wie eine Versammlungsteilnehmerin sagte) in Stralsund am 14. Juli eine bundesweite Demonstration stattfinden werde. Die Versuche der Behörden, jegliche Demonstration in der Ostseestadt an diesem Tag zu verbieten - darüber berichtete Monty Schädel, Bundessprecher der DFG-VK aus Mecklenburg-Vorpommern - würden einer gerichtlichen Prüfung nicht standhalten. Die Friedensbewegung werde Mittel und Wege finden, das ihr zustehende und grundgesätzlich verbürgte Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit auch durchzusetzen.

Außerdem beschloss die Versammlung in Berlin, dass am 13. und 15. Juli im ganzen Land Aktionen der Friedensbewegung und der globalisierungskritischen Bewegung gegen Bush und gegen den G8-Gipfel stattfinden sollen. Unter Bezug auf die andauernde Gewalt im Irak und auf den drohenden Irankrieg heißt das Motto für die Aktionen: "Kriege beenden - Kriegsplanungen stoppen!"

Mit einhelliger Empörung reagierte die Friedensversammlung auf die zwei Tage zuvor bekannt gewordene Entschließung des Europäischen Parlaments, dem linken Abgeordneten Tobias Pflüger, ein prominentes Mitglied der Friedensbewegung, die parlamentarische Immunität zu entziehen. Pflüger wird von der Münchner Staatsanwaltschaft vorgeworfen, im Zusammenhang mit Protesten gegen die Münchner Sicherheitskonferenz gegen Auflagen der Polizei verstoßen zu haben. Pflüger hatte sich - in seiner Eigenschaft als Europaparlamentarier - für die Freilassung eines zuvor willkürlich festgenommenen Demonstranten eingesetzt. Die Anzeige gegen Pflüger - die erst ein halbes Jahr nach dem Vorfall erhoben wurde - ist genauso skandalös wie die Aufhebung der Immunität durch die Mehrheit des EU-Parlaments. "Damit sollen Kritiker des Militarisierungskurses der EU nun auch parlamentarisch mundtot gemacht werden", erklärte Peter Strutynski im Namen der Versammlung.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Sprecher)


"Wir mobilisieren für den 14. Juli nach Stralsund"

Friedensbewegung ruft zu Großdemonstration gegen den Bush-Besuch auf. Dezentrale Aktionen im ganzen Land am 13. und 15. Juli.

Ein Gespräch mit Monty Schädel*


Frage: Am Samstag trafen sich in Berlin Vertreter der Friedensbewegung, um Protestaktionen gegen den anstehenden Besuch des US-Präsidenten am 14. Juli in Stralsund zu planen. Wird es einen ordentlichen Empfang für Bush geben?

Davon gehe ich aus. Wir mobilisieren bundesweit zu einer Demonstration in Stralsund und werden dem US-Präsidenten, aber auch der Bundeskanzlerin einen gebührenden Empfang bereiten. Das ist unsere Verantwortung gegenüber den Opfern der Kriegspolitik weltweit. Wenn wir unseren Regierungschefs die Ablehnung ihrer Politik nicht deutlich machen und ihnen unsere Solidarität mit den Opfern entgegensetzen, machen wir uns mitschuldig an deren Verbrechen.

F: Soll es neben der zentralen Demonstration auch dezentrale Aktionen wie beim letzten Besuch des US-Präsidenten in Mainz geben?

Ja, aber nicht am gleichen Tag, sondern am 13. und 15. Juli. An diesen Tagen wird die Friedensbewegung an vielen Orten die Beendigung der Kriege im Irak und Afghanistan und dem Abzug der Besatzungstruppen fordern. Im Mittelpunkt wird auch dort natürlich die Ablehnung eines Krieges gegen Iran stehen. Bundesweit werden Friedensgruppen zu Stützpunkten der US-Streitkräfte gehen und an öffentlichen Plätzen regional gegen den drohenden Krieg protestierten.

F: Die deutsche Bundesregierung steht in der Iran-Frage keineswegs abseits. Muß erst Bush kommen, um in diesem Land den Widerstand gegen den drohenden Krieg laut werden zu lassen?

Nein, der Protest in der Bundesrepublik ist seit längerem da. Sicher, auf der Straße ist er noch nicht so breit zu sehen, doch es gibt verschiedene Initiativen, die gegen den drohenden Krieg mobilisieren. Im Internet läuft zum Beispiel unter www.kein-irankrieg.de seit vergangener Woche eine Online-Aktion der DFG-VK, des Netzwerks Friedenskooperative und anderer. Daneben informieren viele Gruppen seit langem in ihren Bereichen über Hintergründe und Gefahren dieses Atomstreits und des drohenden Krieges.

F: Sind die USA überhaupt in der Lage, diesen Krieg ohne eine Koalition der Willigen zu führen?

Ich bin kein Militärexperte, aber die jüngsten Kriege der US-Regierung haben deutlich gemacht, daß das Territorium der Bundesrepublik für die US-Streitkräfte eine Art überdimensionaler Flugzeugträger ist. Von hier werden Truppen in Bewegung gesetzt und der Nachschub geregelt. Schon die SPD-Grünen-Regierung hat den Krieg der US-Regierung gegen den Irak unterstützt. Es ist zu befürchten, daß die CDU-SPD-Koalition den Kriegskurs noch viel offener unterstützen wird.

F: Der 14. Juli ist ein Freitag und Stralsund nicht gerade im Zentrum des Landes. Keine guten Voraussetzungen für eine bundesweite Mobilisierung. Wie gehen Sie an das Problem heran?

In Stralsund wird es am morgigen Dienstag ein Vorbereitungstreffen geben. Wir haben bereits eine Mahnwache und Demonstrationen im Innenstadtbereich angemeldet. Nun müssen wir mit der Mobilisierung beginnen. Wir setzen darauf, daß viele Menschen im Sommer ein verlängertes Wochenende mit politischer Aktivität in der Region Stralsund/Rügen verbringen. Unterstützung finden wir da bei vielen Friedensgruppen im ganzen Land.

F: Stimmt es, daß auch Neonazis nach Stralsund mobilisieren?

Auf rechten Internetseiten wurde bereits intensiv auf das Ereignis hingewiesen. Demnach haben unter anderem die beiden NPD-Stadtverordneten für die Zeit des Treffens im Rathaus eine Ausstellung angemeldet. Bereits während des Irak-Krieges haben Neonazis in Stralsund demonstriert und öffentlich US-Fahnen verbrannt. Es ist aber klar, daß sie weder auf unseren Treffen noch auf unseren Demonstrationen willkommen und geduldet sind. Ihre angekündigtten Provokationen sind für uns ein Grund mehr, kräftig nach Stralsund zu mobilisieren. * Monty Schädel ist Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) und wohnt in Mecklenburg-Vorpommern

Interview: Wera Richter

Aus: junge Welt, 22. Mai 2006


Zu weiteren Beiträgen zum Bush-Besuch

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