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Panzerdeal mit der Türkei geplatzt?

Ein Artikel aus der FAZ

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet am Samstag, den 29. April in ihrem Aufmacher auf der ersten Seite über den "vorerst" gescheiterten Panzerdeal mit der Türkei. Wir dokumentieren den Artikel in vollem Wortlaut, weil er sehr viel verrät über die Probleme der Regierungskoalition und trotz genereller Abwiegelung Hinweise enthält, dass das Panzergeschäft keineswegs abgeschrieben werden darf. Die Friedensbewegung muss wachsam bleiben und ihren Kampf gegen den Rüstungsexport verstärken (vgl. hierzu die Presseerklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag vom 30. April).

Erleichterung in der Koalition -
Aus dem Panzergeschäft mit der Türkei wird vorerst nichts

Aus Ankara Berichte über finanzielle Gründe / Das türkische Militär einverstanden

ban.BERLIN, 28. April. Die Türkei wird offenbar auf den Erwerb von tausend Kampfpanzern vom Typ Leopard 2 verzichten. Sprecher bestätigten am Freitag dieser Zeitung, dass die Bundesregierung Berichte für zutreffend halte, nach denen die Türkei aus finanziellen Gründen zumindest vorläufig auf den Kauf der Panzer verzichten wolle. Das habe auch das türkische Militär akzeptiert. Eine offizielle Note der türkischen Regierung an die Bundesregierung dazu liege aber nicht vor. Doch sei dies auch nicht erforderlich. Ein Sprecher der Firma Krauss-Maffei-Wegmann, die den Leopard-2-Panzer produziert, teilte mit, seiner Firma lägen keine offiziellen Mitteilungen aus Ankara vor. Es solle die Erprobung der Testpanzer abgewartet werden, die im Sommer abgeschlossen sei. Die Erprobung laufe "normal" weiter. Dann werde man weitersehen.

Die Neuigkeiten aus der Türkei wurden in der rot-grünen Koalition in Berlin mit Erleichterung zur Kenntnis genommen, weil ein Konfliktpotential zwischen SPD und Grünen und auch innerhalb der SPD wenigstens vorläufig beseitigt sei. Im Auswärtigen Amt in Berlin wurde ein mittelbarer Zusammenhang mit den Ankündigungen führender Regierungsmitglieder nicht ausgeschlossen, unter den gegenwärtigen Umständen, also der mangelhaften Einhaltung der Menschenrechte in der Türkei, würde der Bundesssicherheitsrat das Panzergeschäft nicht genehmigen. In diesem Sinne hatten sich in den vergangenen Wochen Bundeskanzler Schröder, Verteidigungsminister Scharping und der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Struck, geäußert. Die Grünen lehnten das Geschäft ohnehin ab. Parteitage der beiden Koalitionspartner - der SPD im Dezember, der Grünen im März - hatten sich in Beschlüssen nahezu wortgleich gegen die Lieferung der Panzer ausgesprochen und als Grund die Nichteinhaltung der Menschenrechte in der Türkei angeführt.

Noch in den vergangenen Wochen war erwartet worden, die Türkei werde in diesem Sommer entscheiden, welche Panzer sie zur Modernisierung ihrer Militäreinheiten bestellen wolle. Im Herbst vergangenen Jahres hatte der Bundessicherheitsrat gegen das Votum von Außenminister Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) und Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul (SPD) die Lieferung eines Panzers zur Erprobung gebilligt. Das führte zwischen den Koalitionspartnern zu erheblichen Auseinandersetzungen, welche nach den Empfindungen mancher Beteiligter das rot-grüne Regierungsbündnis an den Rand eines Bruchs führten.

In den vergangenen Tagen war aus der Türkei berichtet worden, der Beschluss Ankaras, für welchen Panzer es sich entscheide, werde um mindestens vier Monate verschoben. Regierungskreise in Berlin zogen aus den Informationen jedoch den weiter gehenden Schluss, die Anfrage der Türkei werde auf unabsehbare Zeit nicht zustande kommen. In Berlin wurde darauf hingewiesen, dass die finanziellen Gründe, die nun zur Verschiebung einer Festlgung der Türkei geführt hätten, mindestens auch im kommenden Jahr noch vorlägen.

Sowohl in der Regierungszentrale als auch im Auswärtigen Amt wurde versichert, die Bundesregierung sei über die Entwicklung nicht überrascht. Schon im vergangenen Jahr habe es Hinweise gegeben, die Türkei werde das Geschäft nicht finanzieren können. Insofern sei auch der Streit in der rot-grünen Koalition im vergangenen Herbst übertrieben gewesen.

Der türkische Generalstab hatte zu Beginn dieser Woche geäußert, über das Projekt solle nicht in diesem Sommer, sondern erst im nächsten Jahr entschieden werden. Nach dortigen Zeitungsberichten hat die Bundesregierung die Türkei gebeten, die Entscheidung zu vertagen. Danach habe das türkische Außenministerium den Militärs zu einer Verschiebung geraten. Die Militärs seien aus zwei Gründen darauf eingegangen. Zwar gelten sie als Befürworter der Leopard-2-Panzer, die in Konkurrenz zu Kampfpanzern aus den Vereinigten Staaten, Frankreichs und der Ukraine stehen; wegen der Haltung der deutschen Regierung sei mit einer Lieferung der Leopard-2-Panzer aber nicht zu rechnen. Zum anderen haben das türkische Militär die miserable Haushaltslage zur Kenntnis nehmen müssen. In der Bundesregierung wurde bestritten, dass deutsche Regierungsmitglieder die Türkei "gebeten" hätten, wenigstens vorläufig auf das Geschäft zu verzichten. "Das hätten sie wohl gern", wurde gesagt. Doch habe die Türkei immerhin die Sachlage anerkannt, wonach die Bundesregierung unter den obwaltenden Umständen das Geschäft nicht genehmigen werde.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.04.2000

Zur Presseerklärung des Friedensratschlags vom 30.04.2000

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